04.12.2013

Studieren mit Behinderung

Von der Eingliederungshilfe zur chancengerechten Teilhabe

Finanzierung des behinderungsbedingten Studienmehrbedarfs im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention weiterentwickeln

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Die 74. ordentliche Mitgliederversammlung des Deutschen Studentenwerks (DSW)

 

  • fordert Bund und Länder auf, Regelungen zur Finanzierung des behinderungsbedingten Studienmehrbedarfs in die aktuelle Debatte über die Weiterentwicklung der „Eingliederungshilfe für behinderte Menschen“ einzubeziehen und im Rahmen der Reform die Anspruchs- und Bezugsbedingungen für studentische Integrationshilfen so weiterzuentwickeln, dass die im Einzelfall notwendigen Leistungen
    - für alle Ausbildungsabschnitte im tertiären Bildungsbereich im In- und Ausland diskriminierungsfrei zur Verfügung stehen und dem Primat des lebenslangen Lernens gerecht werden,
    - vermögens- und einkommensunabhängig bewilligt werden, individuell bedarfsdeckend sind,
    - zügig, fristgerecht und trägerübergreifend erbracht sowie sachnah gewährt werden.
  • unterstützt diesbezüglich die Forderungen der Behindertenselbsthilfe nach einem Bundesteilhabegesetz.

Begründung:

 

Gemäß der 20. DSW-Sozialerhebung haben 7% aller Studierenden eine studienerschwerende Beeinträchtigung. Der Anteil der Studierenden mit sehr starker Studienerschwernis an allen Studierenden hat sich zuletzt von 1,5% (2006) auf 1,8% (2012) erhöht.

 

Handlungsbedarf: Studierende mit Behinderungen, die auf Studienassistenz, Gebärdensprachdolmetscher/innen, auf technische Hilfen oder Mobilitätshilfen im Studium angewiesen sind, können dafür unter bestimmten Voraussetzungen „Eingliederungshilfe für behinderte Menschen“ nach Sozialgesetzbuch 12. Buch beantragen. Für Studierende mit Unterstützungsbedarf ergibt sich aus der bestehenden Gesetzeslage in Verbindung mit einer z.T. restriktiven Bewilligungspraxis der Sozialleistungsträger allerdings eine Reihe von Benachteiligungen, die sich auf das Studium auswirken:
 

  • Ein Studium nach abgeschlossener Berufsausbildung oder ein Wechsel von Studienphasen mit Berufs- und Weiterbildungsphasen, wie er in Zukunft die Biografie der meisten Akademiker/innen prägen wird, sind faktisch unmöglich, da i.d.R. lediglich ein erster berufsqualifizierender Abschluss unterstützt wird. Die Sozialleistungsträger bewilligen studienbezogene Hilfen nur dann, wenn sie den geplanten Ausbildungsgang als „angemessen“ und „erforderlich“ ansehen und die Behinderung „wesentlich“ ist.
     
  • Die Finanzierung des studienbedingten Mehrbedarfs erfolgt als Leistung der Sozialhilfe einkommens- und vermögensabhängig. Eigenes Vermögen muss bis auf einen Betrag von aktuell 2.600,- EURO zur Finanzierung des behinderungsbedingten Studienmehrbedarfs eingesetzt werden, Ansparungen über diesen Betrag hinaus sind nicht möglich. 
     
  • Der Studienerfolg wird erheblich dadurch beeinträchtigt, dass die zuständigen Sozialleistungsträger die individuell notwendigen Hilfen und Assistenzen häufig nicht, zu spät, nicht ausreichend oder erst nach aufwändigen Gerichtsverfahren bewilligen. Verzögerter Studienbeginn, Verlängerung des Studiums, verminderte Chancen auf den favorisierten Master-Studienplatz und Studienabbruch oder Studienverzicht sind häufige Folgen. 

Schon die HRK-Empfehlung „Eine Hochschule für Alle“ (21.4.2009) machte auf die Benachteiligungen aufmerksam und appellierte an den Gesetzgeber, die Widersprüche zwischen Sozialrecht und Hochschulalltag zügig abzubauen. 

Handlungsempfehlungen: Die vereinbarte Neustrukturierung der Eingliederungshilfe sollte genutzt werden, um die beschriebenen Benachteiligungen von Menschen mit Behinderungen im Studium zu beseitigen und eine chancengerechte Teilhabe an (Hochschul-)Bildung, Arbeit und lebenslanger Weiterqualifikation im Rahmen bundeseinheitlicher Standards zu realisieren. Durch die Aufnahme der Ansprüche in ein neu zu schaffendes Bundesleistungsgesetz besteht die Chance, die Forderung nach vermögens- und einkommensunabhängiger Leistungsgewährung umzusetzen. Bereits entwickelte Konzepte sollten hinsichtlich der oben beschriebenen Anforderungen überprüft und ggf. überarbeitet werden. 

 

 

74. ordentliche Mitgliederversammlung

des Deutschen Studentenwerks (DSW)

am 3./4.12.2013