09.04.2024

Stellungnahme des Deutschen Studierendenwerks e.V. zur Umsetzung des Deutschlandtickets für Studierende

Grundlegende Festlegungen zu den Tarifbestimmungen für das Deutschland-Ticket vom 27.01.2023, aktualisiert am 27.11.2023 und 15.01.2024;

Mustervertrag mit Anlagen, insbesondere Beschluss über die Tarifbestimmungen für das Deutschlandticket vom 08.03.2023, aktualisiert am 30.05.2023, 10.07.2023, 25.09.2023, 27.11.2023 und 11.12.2023, Anlage 1 zur Muster AV

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Das Deutsche Studierendenwerk (DSW) ist der Dachverband der 57 Studierendenwerke in Deutschland. Die Studierendenwerke nehmen auf Grundlage von Landeshochschul- bzw. Landesstudierendenwerksgesetzen Aufgaben der öffentlichen Daseinsvorsorge, insbesondere der sozialen Förderung von Studierenden, wahr. Dazu gehört an mehreren Hochschulstandorten auch die Verhandlung und Administration der ÖPNV-Tickets für Studierende. Das Deutsche Studierendenwerk nimmt auf Grundlage seiner Vereinssatzung sowohl die Interessen der Studierendenwerke als auch sozialpolitische Belange von Studierenden wahr.

Im November 2023 haben sich Bund und Länder auf die Einführung eines einheitlichen deutschlandweiten Mobilitätstarifs für Studierende als Solidarmodell geeinigt. Als frühester Starttermin wurde das Sommersemester 2024 bestimmt. An einigen Hochschulstandorten konnte die Einführung zum Sommersemester 2024 realisiert werden bzw. wird eine Umsetzung zum Wintersemester 2024/25 geplant. In anderen Regionen wurde das Angebot grundsätzlich abgelehnt und demzufolge nicht eingeführt oder es war eine Umsetzung zum Sommersemester 2024 bzw. eine Einführung zum Wintersemester 2024/25 häufig aus zeitlichen Gründen nicht möglich.

Mit der nachfolgenden Stellungnahme möchten wir auf relevante Besonderheiten des deutschen Hochschulsystems, vermeidbare Schwierigkeiten und Hindernisse bei der Umsetzung des Deutschlandtickets für Studierende hinweisen und zu einer sachgerechten Weiterentwicklung des Deutschlandtickets für Studierende und Steigerung der Akzeptanz beitragen.

Allgemein

Nicht in jeder Region bzw. an jedem Hochschulstandort ist eine Einführung des Deutschland-Semestertickets gewünscht, insbesondere wenn die Verkehrsanbindungen schlecht und das bisherige Semesterticket deutlich günstiger ist. Auch in Bayern und Baden-Württemberg besteht aktuell aufgrund der bestehenden besonderen kostengünstigen Länderlösungen für Studierende bzw. junge Menschen kaum Nachfrage nach dem Deutschlandticket für Studierende. Der Wechsel vom bisherigen Semesterticket zum Deutschland-Semesterticket ist vor allem dort attraktiv bzw. auch rechtlich geboten, wo eine gute Versorgung mit ÖPNV-Angeboten besteht und der Preis des Deutschland-Semestertickets ähnlich hoch wie oder sogar günstiger als das bisherige regionale Semesterticket ist (z.B. in den Ballungsräumen).

Die Verhandlungssituationen und die am Ende ausgehandelten Verträge sind uneinheitlich. Der von den Verkehrsministerien zur Verfügung gestellte Mustervertrag enthält fakultative Passagen, die von den Verhandlungsparteien individuell geändert werden können. Von unseren Mitgliedern und den Studierendenvertretungen wurde über unterschiedlichste Formulierungen in den Verträgen zu vergleichbaren Sachverhalten berichtet. Die Abweichungen betreffen zentrale Aspekte wie den berechtigten Personenkreis (z.B. Gasthörer*innen, berufsbegleitend Studierende, Fernstudierende, Schwerbehinderte), die Laufzeit, die technischen Leistungen der Vertragspartner, Kündigungsmöglichkeiten und das Wiederaufleben der bisherigen Semesterticketverträge. Sachliche Erwägungen für eine Andersbehandlung sind häufig nicht erkennbar, vielmehr scheint die jeweilige Verhandlungsführung der Vertragsparteien den Ausschlag zu geben. Eine Ungleichbehandlung trotz vergleichbarer Sachverhalte ist vor dem Hintergrund, dass es sich um ein verpflichtendes Ticket handelt, nicht vertretbar. Daher schlagen wir eine Vereinheitlichung von Regelungen des Mustervertrags, z.B. durch Regelung von Mindestfristen, vor.

Hindernisse für die Einführung

Bei der Beschlussfassung am 27. November 2023 gab es vielerorts nicht mehr die notwendige Vorbereitungszeit für die Einführung des Deutschland-Semestertickets. Die ÖPNV-Versorgung in Deutschland ist bereits im Allgemeinen vielschichtig. Für die Studierendentickets kommt hinzu, dass mehrere Seiten die Verträge verhandeln und aufgrund der verpflichtenden Abnahme des Tickets für alle immatrikulierten Studierenden einer Hochschule im Vorfeld formale Schritte wie Gremienbeschlüsse, Änderung von Beitragsordnungen, z.T. auch Genehmigungen von Landesministerien erforderlich werden. Da die Ticketkosten Teil des Semesterbeitrags sind, die im Rahmen der Immatrikulation und Rückmeldung zum Studium fällig werden, sind sie mit ausreichendem Vorlauf den Studierenden bekanntzugeben. Eine Einführung zum Sommersemester 2024 scheiterte daher an den meisten Standorten, aber auch zum Wintersemester 2024/25 wird es für viele Hochschulstandorte zeitlich eng.

Auch haben sich Studierendenschaften gegen eine Einführung entschieden, wenn der Leistungsumfang der bisherigen Semestertickets beim Deutschlandticket nicht erreicht wird: Die Mitnahmemöglichkeit von Kindern im Alter von 6 bis 14 Jahren, die mit dem Deutschlandticket nicht mehr möglich ist, ist für studierende Eltern ein entscheidender Kostenfaktor. Laut 22. Sozialerhebung zur sozialen und wirtschaftlichen Lage der Studierenden in Deutschland 2021 haben 8% der Studierenden ein oder mehr Kinder; auf Grundlage von 2,9 Mio. Studierenden gibt es damit rund 232.000 studierende Eltern. Über ein Fünftel der studentischen Kinder (22%) ist im schulpflichtigen Alter zwischen 7 – 15 Jahren. Auch die kostenlose Mitnahme von Fahrrädern in den öffentlichen Verkehrsmitteln entfällt zukünftig für Studierende im Deutschlandtickettarif und zwar in Regionen, in denen die Hochschulstandorte von dem Fern- und S-Bahnhöfen ohne ausreichende Busverbindung ausgestattet sind und so weit entfernt liegen, dass sie nicht mit vertretbarem Zeitaufwand zu Fuß erreicht werden können.

Aus diesem Grund sind bestehende Mitnahmeregelungen aus den bisherigen Semestertickets für das Deutschlandsemesterticket beizubehalten. Zumindest sollte die Möglichkeit eingeräumt werden, die Verträge mit den Verkehrsunternehmen im Einzelfall entsprechend anzupassen.

Sicherung der Mobilität von Studierenden

Die Erreichbarkeit der Hochschulstandorte muss für Studierende dauerhaft gesichert werden. Dazu gehört an erster Stelle ein garantiert sozialverträglicher Ticketpreis. Durch die Einführung des Deutschlandtickets ist aber die Ticketpreisentwicklung für Studierende langfristig praktisch nicht mehr vorhersehbar und planbar, da diese vom Ausgabepreis des Deutschlandtickets abhängt. Eine Erhöhung des Ticketpreises ist aufgrund der Inflation und der damit verbundenen wirtschaftlichen Situation der Studierenden nicht zumutbar und würde voraussichtlich zu einer Rückkehr zu regionalen Semestertickets oder Aufgabe von Semestertickets führen.

  • Daher wird dringend eine Höchstgrenze benötigt, um die Preise auf niedrigem Niveau zu halten. Dabei kann es keine Lösung sein, ein bundesweites verpflichtendes Ticket in allen Regionen einzuführen, weil das Nahverkehrsangebot nicht überall, z.B. in ländlichen Regionen, ausreichend ist. Die Orientierung der Preishöhe an der Entwicklung des Deutschlandtickets ist daher nicht sachgerecht und aufgrund des verpflichtenden Charakters auch nicht zumutbar. Der Ticketpreis sollte sich vielmehr an den Lebensverhältnissen von Studierenden orientieren und könnte sich beispielsweise nach dem BAföG-Höchstsatz richten.
  • Die freiwillige Upgrade-Lösung muss insbesondere für Hochschulstandorte mit schlecht ausgebautem Nahverkehrsnetz auch über das Wintersemester 2024/2025 hinaus beibehalten werden und darf nicht - wie aktuell geregelt - mit Ablauf des WS 2024/25 enden. Denn dort wird es voraussichtlich weiterhin beim Bezug des lokalen Semestertickets bleiben und zu einer Doppelbelastung durch zusätzlichen Kauf des Deutschlandtickets zum regulären Preis kommen. Ein Upgrade muss für diese Studierenden also möglich sein.

Kündigung, Ruhen und Wiederaufleben bisheriger Semesterticketverträge

Aufgrund der äußerst unklaren und nicht beeinflussbaren Preisentwicklung des Deutschlandsemestertickets und der langen Vorbereitungszeit für die Einführung von verpflichtenden Tickets (sowohl Deutschland-Semesterticket, als auch regionales Semesterticket) sind in den Verträgen mit den Verkehrsbetrieben folgende Punkte obligatorisch (und nicht wie aktuell geregelt fakultativ) aufzunehmen:

  • Sonderkündigungsrecht bei Preiserhöhung
  • Rückfall-Klausel für bisherige Semesterticketverträge: Die bisher geltenden regionalen Semesterticketverträge werden ruhend gestellt und leben bei Beendigung des Vertrags über ein Deutschlandticket für Studierende wieder auf. Dieses muss im Übrigen auch für die Länderlösungen wie aktuell in Bayern und Baden-Württemberg gelten.
  • Regelungen zu Vertragslaufzeiten, -beginn, -beendigung, -kündigung müssen wegen semesterweiser Immatrikulation und Beitragseinzug an Semester und nicht an das Kalenderjahr gekoppelt sein. Die beschriebenen langen Vorlaufzeiten sind zu berücksichtigen und müssen von den Vertragspartnern eingehalten werden (mindestens 8 Monate vor dem jeweiligen Semesterbeginn; Fristverlängerung muss im Einzelfall ermöglicht werden). Dabei ist je nach Standort zu berücksichtigen, dass Semesterbeginn an den Universitäten der 01.04. bzw. 01.10. und an den Fachhochschulen zum Teil am 01.03. bzw. am 01.09. ist und damit die Rückmeldezeiträume der Hochschulen unterschiedlich sein können.

Erstattungsmöglichkeiten/Ausnahmen von der Abnahmepflicht

In den Verträgen muss eine Pflicht zur monatsweisen Erstattung der Ticketkosten über die benannten Tatbestände hinaus in berechtigten Fällen wie Exmatrikulation, z.B. bei erfolgreichem Abschluss des Studiums, Beurlaubung oder längerer Klinik-/Krankenhausaufenthalt, die während des Semesters eintreten, gewährt werden. Ansonsten würden betroffene Studierende aufgrund des verpflichtenden Ticketbezugs für ein ganzes Semester Ticketkosten tragen, ohne die Beförderungsleistung in Anspruch nehmen zu können. Hinzu kommt, dass teilweise in den Hochschulgesetzen Erstattungsmöglichkeiten geregelt sind, vgl. z.B. § 19 Abs. 6 S. 4 NHG.

Bislang sieht das Vertragsmuster lediglich eine (Zwischen-)Meldung, spätestens 4 Wochen nach Vorlesungsbeginn vor, bei deren Einhaltung eine Erstattung erfolgt. Diese Regelung greift in den oben beschriebenen Fällen, soweit sie während des laufenden Semesters eintreten, nicht.

Digitale Lösung, Chipkarte, notwendige Datentransfers

Das Deutschland-​Ticket ist ausschließlich digital über die Vertriebskanäle der Verkehrsunternehmen, Verkehrs-​​ und Tarifverbünde verfügbar und kann entweder als Barcode in einer Smartphone-​​App (Handy-Ticket) oder als elektronische Fahrkarte auf einer Chipkarte ausgegeben werden. Dabei ist die Kostenübernahme für die Anschaffung der Chipkarten uneinheitlich geregelt, teilweise werden die Kosten von den Verkehrsunternehmen übernommen, teilweise müssen die Kosten von den Studierendenwerken bzw. Studierendenvertretungen, als Verhandlungs- und Vertragspartner der Verkehrsbetriebe, getragen werden. Hier sollte eine einheitliche Regelung getroffen werden, die die Verkehrsbetriebe als Aussteller von Chipkarten zur Kostentragung verpflichtet.

Der Abschluss von Deutschland-Semesterticket-Verträgen scheiterte auch an der Weigerung von Hochschulen, die notwendigen Daten zur Durchführung des Deutschlandtickets an die Studierendenwerke bzw. Studierendenvertretungen weiterzugeben bzw. datenschutzkonforme Lösungen anzubieten. Nicht alle landesgesetzlichen Regelungen für den Hochschulbereich sehen entsprechende Klauseln vor, die eine Datenübertragung z.B. der Hochschulen an die Studierendenwerke erlauben. Daher sollte es eine entsprechende Regelung über die Verpflichtung der Hochschulen zur Datenübertragung an alle beteiligten Vertragsparteien geben, soweit diese nicht bereits in Hochschulgesetzen oder Studierendenwerks-Gesetzen normiert ist.

Einnahmeaufteilung, Postleitzahl der Hochschule

Durch die deutschlandweite Nutzung des Deutschland-​Tickets muss das Einnahmenaufteilungsverfahren (EAV) besonders geregelt werden und die gerechte Aufteilung zwischen Öffentlichem Straßenpersonenverkehr (ÖSPV) und des regionalem bzw. überregionalem Schienenpersonenverkehr (SPNV) berücksichtigen.

Nachdem für das Deutschlandticket für Studierende im Sommersemester 2024 auch eine Aufteilung der Einnahmen nach der Postleitzahl der jeweiligen Hochschule vorgesehen ist, soll sich ab dem Wintersemester 2024/25 die Aufteilung auf die Bundesländer allein nach den Wohnorten der Studierenden richten.

Dieses halten wir weder für praktikabel noch für sachgerecht. Die Adressdaten der Studierenden, die den Hochschulen vorliegen, sind teilweise nicht aktuell und weisen meistens die Heimatstandorte der Eltern aus. Nicht zu unterschätzen ist auch der Anteil der (Programm-)Studierenden (z.B. Erasmus) mit Wohnsitz im EU-Ausland, aber auch im außereuropäischen Ausland. Die Studierenden nutzen jedoch das ÖPNV-Ticket in der Vorlesungszeit überwiegend für Fahrten am Hochschulort. Insofern würden hier die Wohnort-Postleitzahlen das Ergebnis verzerren und die Aufteilung nicht richtig wiedergeben.

Auch aus praktischer Sicht wäre die Aufteilung nach dem Hochschulort der Studierenden angezeigt. In der Praxis von Verkehrsbetrieben, die sich aktuell am Wohnsitz orientieren, geben die Studierenden beim Abruf des Tickets ihre Wohnortpostleitzahl an. Es ist davon auszugehen, dass nicht alle eingeschriebenen, beitragszahlenden Studierenden ein Ticket abrufen (z.B. nur 95 % der immatrikulierten Studierenden); verteilt werden müssen aber alle Einnahmen aus dem Deutschland-Semesterticket an einer Hochschule, so dass für einen Teil der Einnahmen (in dem Beispiel 5%) ein Verteilungsschlüssel gebildet werden müsste. Bei Zugrundelegung des Hochschulsitzes könnte die Verteilung direkt und unkompliziert erfolgen.

Ergänzende Hinweise zu Fahrkontrollen

Die Erhebung von Verwaltungsgebühren, wenn ein gültiges Deutschland-Semesterticket vorhanden ist, aber nicht vorgezeigt werden kann, sollte für eine Übergangszeit ausgesetzt werden. Die bisherigen Semestertickets waren größtenteils auf den Hochschul-Chipkarten gespeichert und verlieren dort, wo das Deutschlandsemesterticket eingeführt wird, ihre Gültigkeit. Beim Deutschlandticket werden neue Trägermedien oder Apps zur Verfügung gestellt. Die Studierenden müssen in der Regel selbst tätig gegenüber den Verkehrsbetrieben werden, ansonsten könnten sie kein gültiges Ticket vorweisen und es können Kosten durch ungewolltes Fahren ohne gültigen Fahrausweis entstehen.

Bei Fahrkontrollen soll berücksichtigt werden, dass die Hochschulen die immatrikulierten Studierende teilweise mit ihren Künstler-/Aliasnamen speichern.  Insoweit kann der Name einer Person im Personalausweis von den Immatrikulationsdaten der Hochschulen abweichen. Bei Fahrkontrollen werden die von den Hochschulen übermittelten Daten (Immatrikulationsdaten) mit denen im Personalausweis abgeglichen, so dass es zu Unstimmigkeiten in den Ausweisdokumenten kommen kann. Auch Ergänzungsausweise (z.B. der dgti) sollten daher anerkannt werden, wenn die Namen im Immatrikulationsnachweis und im Personalausweis nicht übereinstimmen.

08. April 2024

 

Matthias Anbuhl

Vorstandsvorsitzender des Deutschen Studierendenwerks