09.12.2021

Zeit für einen echten Bildungsaufbruch und einen Relaunch des BAföG

83. ordentliche Mitgliederversammlung der Stuidierenden- und Studentenwerke unter dem Dach des Deutschen Studentenwerks (DSW) am 8.12.2021: Die Studierendenwerke fordern von der neuen Bundesregierung, dass die Koalitionsvertrag angekündigte, grundlegende BAföG-Reform sehr rasch umgesetzt und kräftig ausfinanziert wird. Insbesondere sollen die BAföG-Elternfreibeträge nun massiv angehoben werden, damit auch wieder Familien aus der unteren Mittelschicht erreicht werden. Ebenso sollen die Bedarfssätze stark erhöht werden. Die Studierendenwerke fordern weiterhin, dass das BAföG auf der Basis der regelmäßigen BAföG-Berichte ebenso regelmäßig erhöht wird. Auch soll das BAföG an die Studien- und Lebenswirklichkeit der Studierenden angepasst werden; so soll endlich die Förderungshöchstdauer um zwei Semester über die Regelstudienzeit hinaus verlängert werden, weil weniger als ein Drittel der Studierenden ihr Studium überhaupt in der Regelstudienzeit schafft. Für nationale Krisenlagen wie die aktuelle Corona-Pandemie soll rasch ein Notfallmechanismus ins BAföG integriert werden.

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Die 83. ordentliche Mitgliederversammlung des Deutschen Studentenwerks (DSW) beschließt:

Die Corona-Pandemie hat die Schwächen unseres Bildungssystems gnadenlos aufgezeigt, von der Kita, über die Schule bis hin zur Hochschule. Ein alarmierender Befund der Zuschuss-Überbrückungshilfe der Bundesregierung für Studierende in pandemiebedingter Notlage ist, dass sich viele Studierende schon vor der Pandemie und unabhängig von der Pandemie in einer prekären finanziellen Lage befanden. Es gibt eine strukturelle Armut bei Studierenden, die auf ein strukturelles Defizit bei der Studienfinanzierung hinweist, die dringend angegangen werden muss.

Die Folge: Die Zahl der Geförderten sinkt seit acht Jahren dramatisch. Das BAföG erreicht längst nicht mehr Familien mit mittleren Einkommen, sondern „nur“ noch Geringverdienende. Der Zugang zur Hochschule hängt aber weiterhin stark vom Kontostand der Eltern ab. Unsere Gesellschaft kann sich diese soziale Auslese nicht leisten, denn sie steht vor enormen Herausforderungen. Der sozialökologische Strukturwandel, der demographische Wandel – die Boomer-Generation geht in den 2020er Jahren in Rente – und die Digitalisierung: All diese Trends erfordern mehr qualifizierte Menschen. Letztlich ermöglicht ein Studium auch nachhaltige Teilhabe an Gesellschaft und Arbeitsmarkt. Bildungshürden müssen deshalb abgebaut werden.

Die 83. Mitgliederversammlung des Deutschen Studentenwerks (DSW) fordert deshalb von einer neuen Bundesregierung einen echten Bildungsaufbruch. Vor 50 Jahren startete ein solcher Aufbruch mit dem BAföG. Heute ist es höchste Zeit für einen Relaunch des BAföG.

Das DSW hat zum BAföG-Jubiläum am 1. September 2021 zehn Eckpunkte für eine grundlegende und umfassende Reform vorgestellt. Diese Eckpunkte sollten Richtschnur für die Bundesregierung sein. Die Mitgliederversammlung des DSW fordert daher:

  • sofort eine kraftvolle Aufwertung des BAföG (überproportionale Erhöhung von BAföG-Bedarfssätzen und Elternfreibeträgen, Verlängerung der Förderungshöchstdauer, Notfallmechanismus für Krisenlagen einführen) sowie die Anpassung der BAföG-Förderung an die Lern- und Lebensrealitäten der Studierenden vorzunehmen. Dabei ist aufgrund des dramatischen Anstiegs der Energiepreise auch ein BAföG-Heizkostenzuschuss wie im Jahr 2001 nötig,
  • sofort nach der im Sommer 2021 eingeführten bundeseinheitlichen e-Antragstellung über www.bafoeg-digital.de auch eine bundeseinheitliche Digitalisierung aller BAföG-Prozessschritte umsetzen (e-Akte, e-Bescheid). Grundsätzlich ist das BAföG einfacher und transparenter zu gestalten.
  • in dieser Legislaturperiode eine strukturelle Reform der Ausbildungsförderung nach dem Drei-Körbe-Modell anzugehen: mit einem ersten Korb mit einer elternunabhängigen Sockelförderung für alle volljährigen Auszubildenden, einem vereinfachten und stärkeren BAföG als zweitem Korb sowie einem dritten Korb mit einem zinslosen Darlehensangebot.

 

Anhang

Eckpunkte für eine auskömmliche Studienfinanzierung, insbesondere eine BAföG-Reform

 

BAföG existenzsichernd ausgestalten und Planungssicherheit gewährleisten

  • Kongruenz zum Familienrecht herstellen (Düsseldorfer Tabelle), aber auf relative BAföG-Freibeträge nicht verzichten
  • (Re-)Integration des zusätzlichen Wohnbedarfs aus dem SGB II ins BAföG (ein einziger Leistungsträger: ein einziger Antrag)
  • Förderentscheidung für ein ganzes Bachelor- oder Masterstudium (Finanzierungssicherheit)
  • Automatische Dynamisierung vergleichbar Renten, Diäten, Wohngeld (ab 2022) auf strikter Basis der jeweils zweijährigen BAföG-Berichte
  • Gewährung ausstattungsbezogener und studienbezogener Einmalzahlungen wie IT-Ausstattung, Kosten für Tests, Vorstellungsgespräche sowie Einschreibegebühren vor Studienbeginn und einer BAföG-Förderung

 

BAföG flexibilisieren und an eine sich verändernde Studien- und Lebenswirklichkeit anpassen

  • Anteil der Anspruchsberechtigten von derzeit 63 % signifikant erhöhen – und wieder für Studierende aus Elternhäusern mit mittlerem Einkommen zugänglich machen
  • Angesichts weiter existierender Verschuldungsängste sukzessive zurück zum Vollzuschuss
  • Grundsätzliche Kopplung von Förderungsrecht und Hochschulrecht zugunsten der Studierenden
  • Berücksichtigung unterschiedlicher Lebenslagen wie: Studium mit Kinder/n, Studium mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen, unterschiedlicher Altersphasen (z.B. altersgestaffelte Vermögensfreibeträge)
  • Synchronisierung von Unterhaltsrecht und Familienleistungsausgleich (z.B. elternunabhängige Förderung ab 27 statt 30)
  • Verkürzung der Anrechnungszeiten für eine elternunabhängige Förderung nach abgeschlossener Berufsausbildung bzw. Erwerbstätigkeit

 

BAföG-Förderhöchstdauer der Studienrealität anpassen

  • Regelstudienzeit plus 2 Semester (die BAföG-„Hilfe zum Studienabschluss“ soll aber nicht entfallen)

 

BAföG entbürokratisieren und einfach, transparent, digital ausgestalten

  • Umfang der Anforderungen im BAföG-Gesetz und insoweit Angaben im Antrag reduzieren
  • Gesetzesformulierungen einfacher sprachlich verständlich gestalten
  • Kaum zu realisierende Einzelfallgerechtigkeit durch Pauschalierungen ersetzen
  • BAföG-Leistungsnachweis abschaffen
  • Bei Staatsangehörigkeit negativ den Ausschluss definieren („Förderung kann nicht erhalten, wer …“)
  • Zur Erleichterung der Einnahmenermittlung alle Einnahmen – auch die nicht steuerpflichtigen – sollen im Einkommensteuerbescheid aufführen 
  • Bundesweit einheitlich über die gesamte Prozesskette hinweg digitalisieren

 

Zielgruppen für die Förderung erweitern (gemäß der Bildungskette)

  • Um Bildungsübergänge zu unterstützen: wieder Schüler/innen an allgemeinbildenden Schulen fördern
  • Altersgrenzen abschaffen, um durchgängig ein lebensbegleitendes Lernen über alternierende Ausbildungs- und Berufsphasen (z.B. Bachelor – Berufstätigkeit – Master – Berufstätigkeit – Weiterbildungsstudium – Berufstätigkeit) zu ermöglichen
  • Weitere Chance bei Fachrichtungswechsel/nach Studienabbruch – auch im Masterstudium ermöglichen

 

Härtefallregelung in Gesetz implementieren

  • Der Diversität konkret-individueller, im Gesetz nicht oder nur eingeschränkt abbildbarer Lebenssachverhalte durch Gewährung von Studienunterstützung zum Ausgleich sozialer Härten oder besonders schwieriger Studienbedingungen gerecht werden (wie z.B. im Studienförderungsgesetz in Österreich.)

 

Automatisch greifenden Notfallmechanismus in das BAföG für Katastrophenlagen implementieren

  • sofern der Deutsche Bundestag eine Katastrophenlage feststellt

 

Kindergeld für Auszubildende wieder bis zum 27. Lebensjahr

  • Erhöhung der Altersgrenze für das Kindergeld auf 27, da das Durchschnittsalter der Studierenden (Median 23,4) entgegen der Erwartungen der Bologna-Studienreform (Bachelor/Master) nur unwesentlich gesunken ist.

 

BAföG-Ämter personell und sächlich ausfinanzieren

  • Ausbau der individuellen Beratung

 

Mittelfristig rechtskreisübergreifende Strukturreform in Richtung eines Drei-Körbe-Modells angehen

  • die systemimmanente Reform des BAföG durch eine übergreifende Strukturreform und Synchronisierung von Unterhaltsrecht, Familienleistungsausgleich, Ausbildungsförderung und anderem Sozialrecht dringend wiederaufnehmen, z.B. über das Drei-Körbe-Modell (Sockelförderung plus BAföG als Aufstockung plus Einmalausgaben, z.B. zum Studienbeginn).

 

Berlin, 1. September 2021