07.12.2016

Studentenwerke vor negativen Auswirkungen von Freihandelsabkommen schützen

Die 77. ordentliche Mitgliederversammlung des Deutschen Studentenwerks (DSW) fordert die Bundesregierung auf, bei der Europäischen Kommission weiterhin darauf hinzuwirken, dass bei den laufenden Verhandlungen zu Freihandelsabkommen das öffentliche Bildungswesen als Bestandteil der öffentlichen Daseinsvorsorge verbindlich festgeschrieben wird.

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Öffentliche und gemeinnützige Dienstleistungen und Daseinsvorsorge müssen gestärkt werden. Die kulturelle Vielfalt und öffentliche Bildungsangebote müssen gefördert und ausgebaut werden, statt sie als Handelshemmnis zu betrachten.

BEGRÜNDUNG:

 

Staatliche Leistungen der Daseinsvorsorge sollten grundsätzlich von den aktuellen Verhandlungen zu den Freihandelsabkommen ausgenommen werden. Bildung, Kunst und Kultur dürfen nicht Teil eines Handelsabkommens werden. Verhandlungen im Bildungsbereich zu den aktuell diskutierten Handelsabkommen unterlaufen den in der Europäischen Union (EU) geltenden Grundsatz, dass der Bildungsbereich in Verantwortung der Mitgliedstaaten ausgestaltet wird und in Deutschland die Länder zuständig sind.

Sollten die Freihandelsregelungen vollständig auf öffentliche Dienstleistungen wie Bildung angewandt werden, könnte das den Handlungsspielraum der Politik stark einschränken und den Druck zur Privatisierung und Kommerzialisierung erhöhen. Der Einbezug von Bildungsdienstleistungen in diese Verhandlungen könnte den demokratischen Entscheidungsprozess untergraben. Regeln bezüglich des Marktzugangs könnten die Möglichkeiten der Vertragspartner/innen einschränken.

Die öffentliche Daseinsvorsorge ist von enormer gesellschaftlicher Relevanz. Für eine funktionierende Gesellschaft hat die Gewährleistung von bezahlbaren, bedarfsorientierten, allgemein verfügbaren Dienstleistungen sowie die soziale und materielle Teilhabe der Bürger/innen zentrale Bedeutung. Der Markt darf daher nicht das Dienstleistungsangebot diktieren. Kriterium für die Versorgung mit Dienstleistungen muss der Bedarf, nicht die Zahlungsfähigkeit sein.

Die Gewährleistung einer öffentlichen, allgemein zugänglichen Daseinsvorsorge würde bei Aufhebung der bisherigen Praxis der EU zum Schutz der Daseinsvorsorge durch die Freihandels- und Investitionsabkommen gefährdet. In Kombination mit interpretationsfähigen – und daher im Zweifelsfall strittigen – Rechtsbegriffen erwachsen aus dieser Verknüpfung unkalkulierbare Risiken, insbesondere für die öffentliche Daseinsvorsorge, aber auch für bislang bewährte demokratische und rechtsstaatliche Prinzipien insgesamt.

Der Public-utilities-Vorbehalt im geplanten Comprehensive Economic and Trade Agreement (CETA), an welchem sich auch die aktuellen Verhandlungen zu Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP) orientieren, der öffentliche Dienstleistungen schützen soll, ist unzureichend, da er sich nur auf Marktzugangsregeln, aber nicht auf Inländer/innenbehandlung, Meistbegünstigung und Investitionsschutzstandards bezieht. Er gilt nur für Monopole und die wenigen Bereiche, in denen beispielsweise den Kommunen ein ausschließliches Recht zur Erbringung verliehen wurde. Außerdem sind durch die Subventionsregelungen staatliche Ausgleichszahlungen für gemeinnützige Unternehmen angreifbar. Sektoren wie Bildung und soziale Absicherung können leicht zum Ziel von Investitionsschutzklagen werden, ebenso mischfinanzierte Bildungs-, Gesundheits- und soziale Dienste. Darunter fallen auch Studentenwerke. Sie stehen wegen ihres vielfältigen Leistungsangebots (Verpflegung, Wohnen, Beratung, Kinderbetreuung usw.) in Konkurrenz zu privaten Anbietern und sind damit – unabhängig von ihrem sozialen Auftrag – angreifbar.

Der Bildungsbereich ist in den EU-Staaten sehr unterschiedlich organisiert und in Deutschland ist der Anteil privater Bildungsinstitute bisher eher gering. Die Abkommen bergen jedoch auch die Gefahr, dass der Staat seine öffentlichen Bildungsetats zugunsten privater Finanzierung drosseln könnte (im Zusammenhang mit der Schuldenbremse ein noch größeres Problem).

Die Ausbildung von „Humanressourcen“ innerhalb des öffentlichen Bildungswesens gilt im Rahmen der Freihandelsabkommen als nichtwirtschaftliche Tätigkeit. Die Fort-/Weiterbildung könnte auch wirtschaftliche Tätigkeit sein, wenn die öffentlichen Einrichtungen mit privaten Anbietern konkurrieren. Diese Unterscheidung hat bezüglich des Bologna-Prozesses die folgenden Konsequenzen: Da der Bachelor ein berufsqualifizierender Abschluss ist, könnten Masterstudiengänge als Fort-/Weiterbildung gewertet werden. Staatliche Finanzierung für Hochschulen unterläge dann beihilferechtlichen Einschränkungen, wenn internationale private Bildungseinrichtungen entsprechende Masterstudiengänge ebenfalls anbieten. Bei internationaler Konkurrenz müssen deutsche Hochschulen Masterstudiengänge dann zu vergleichbaren Konditionen anbieten. Das würde in der Konsequenz auf die Erhebung von Studiengebühren hinauslaufen und CETA und TTIP bieten die Rechtsgrundlagen für Investitionsschutzklagen.