03.05.2020

Corona-Krisen-Hochschulpolitik

Stellungnahme zum Wissenschafts- und Studierendenunterstützungsgesetz

Wir nehmen Stellung zum „Entwurf eines Gesetzes zur Unterstützung von Wissenschaft und Studierenden aufgrund der COVID-19-Pandemie (Wissenschafts- und Studierendenunterstützungsgesetz)“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF); Anlass ist eine schriftliche Anhörung im Bundestagsausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung. Wir begrüßen den Gesetzentwurf und sehen lediglich Nachbesserungsbedarf an einem Punkt: Die Regelung, wonach studentische Tätigkeiten in systemrelevanten Branchen nicht aufs BAföG angerechnet werden, sollte auch für BAföG-geförderte Studierende gelten, die ohnehin schon in solchen Branchen jobben, gerade im Gesundheitswesen. Außerdem plädieren wir noch einmal dafür, als Soforthilfe für Studierende, denen der Nebenjob weggebrochen ist, zeitweise das BAföG zu öffnen.

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Stellungnahme des Deutschen Studentenwerks (DSW) zur schriftlichen Anhörung zum Thema „Entwurf eines Gesetzes zur Unterstützung von Wissenschaft und Studierenden aufgrund der COVID-19-Pandemie (Wissenschafts- und Studierendenunterstützungsgesetz)“des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung des 19. Deutschen Bundestages

  1. Inhalte des Gesetzentwurfs

Der Gesetzentwurf der Regierungsfraktionen (19/18699[1]) hat die Intention, Wissenschaft und Studierende während der Corona-Pandemie zu unterstützen. Der Gesetzentwurf – der der vom Bundeskabinett am 8.4.2020 beschlossenen Formulierungshilfe entspricht – hat zwei Inhalte:

  • Artikel 1: Änderung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes

Die zulässige Befristungsdauer der Arbeitsverhältnisse von wissenschaftlichem Personal verlängert sich um sechs Monate und kann – mit Zustimmung des Bundesrates – um höchstens weitere sechs Monate verlängert werden.

  • Artikel 2: Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes

Einnahmen von Antragstellenden aus Tätigkeiten in systemrelevanten Branchen und Berufen zur Bekämpfung der Pandemie und deren sozialen Folgen gelten für das BAföG nicht als Einkommen (Änderung des § 21 Abs. 4 BAföG). Die erst am 27.3.2020 – durch Artikel 5 des Gesetzes zum Ausgleich COVID-19 bedingter finanzieller Belastungen der Krankenhäuser und weiterer Gesundheitseinrichtungen (COVID-19-Krankenhausentlastungsgesetz) vom 27.3.2020 (BGBl. I S. 580) – eingefügte Regelung in § 53 Abs. 2 BAföG (Anrechnung als Einkommen exakt nur in den Monaten der Tätigkeit) wird aufgehoben. Darüber hinaus sieht der Gesetzentwurf keine weitere Unterstützung für Studierende vor.

  1. Bewertung des vorliegenden Gesetzentwurfs
  • Artikel 1: Änderung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes

Das Deutsche Studentenwerk begrüßt die Änderung: Vertragsverlängerungen der Lehrbeauftragten und wissenschaftlichen Mitarbeiter/innen können gewährleisten, dass die neuen digitalen Veranstaltungen und Angebote der Hochschulen konzipiert und aufrecht erhalten bleiben können. Dies kommt letztlich auch den Studierenden zugute.

  • Artikel 2: Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes

Das Deutsche Studentenwerk (DSW) begrüßt, dass während der Corona-Pandemie Einkommen aus systemrelevanten Tätigkeiten beim BAföG nun überhaupt nicht mehr als Einkommen auf die Förderung angerechnet werden sollen. Damit wird die BAföG-Förderung weiterhin als stabile Grundlage für den Lebensunterhalt und die Ausbildung gewährt.

Das DSW hatte bereits in einem Schreiben an Frau Bundesministerin Anja Karliczek am 20. März 2020 angeregt, dass Einkommen aus systemrelevanten Tätigkeiten generell nicht als Einkommen gelten sollen. Diese unserem Vorschlag entsprechende einfache und großzügige Regelung wird der Notsituation gerecht und schafft zugleich Anreize, vorhandene Kompetenzen in systemrelevanten Branchen und Berufen mit gesamtgesellschaftlichem Nutzen einzusetzen.

Des Weiteren stellt dies eine wesentliche Verbesserung gegenüber der kürzlich vorgenommenen Regelung dar, wonach Einkommen aus Tätigkeiten während der Pandemie im Gesundheitswesen oder Agrarproduktion nur exakt in diesen Tätigkeitsmonaten seit Beginn der Pandemie nicht angerechnet wird. Diese nun korrigierte Lösung hätte im worst case dazu geführt, dass Einnahmen aus systemrelevanten Tätigkeiten generiert werden, diese aber aufgrund der erforderlichen Anrechnung für die jeweiligen Monate zum Wegfall der BAföG-Förderung führen und systemrelevant tätige Studierende damit bestraft würden.

Mit der Neuregelung in § 21 Abs. 4 BAföG wird nun anstelle des nun wieder aufgehobenen § 53 Abs. 2 BAföG auch verwaltungstechnisch eine saubere Lösung ermöglicht. Es handelt sich insoweit um eine sinnvolle Korrektur. Der § 53 BAföG regelt eine Änderung eines BAföG-Bescheids. Dafür ist ein bereits bestehender Bescheid erforderlich. Zwar hat das BMBF im Einführungserlass klargestellt, dass § 53 Abs. 2 BAföG – entgegen dem Gesetzeswortlaut – auch in den Fällen anzuwenden ist, in denen erst zum Semesterstart April 2020 ein BAföG-Bescheid erfolgt. Unproblematisch ist dies nicht, weil der Gesetzeswortlaut die Grenze jeglicher Gesetzesauslegung ist. Überdies ist die Verfahrensvorschrift in § 53 BAföG für inhaltliche Regelungen kein geeigneter Standort im Gesetz. Deshalb ist die Korrektur im WissStudUG richtig – auch wenn mit der Änderung nun erneut eine Änderung der drei BAföG-Softwaresysteme erforderlich ist.

Letztlich gilt die Regelung für seit dem 1. März 2020 (erstmals) aufgenommene oder hinsichtlich des Arbeitszeitvolumens aufgestockte systemrelevante Tätigkeiten. Im Sinne der Gleichbehandlung sollte gesetzlich klargestellt werden, dass die Regelung auch für bereits und weiterhin im gleichbleibenden Umfang des Arbeitszeitvolumens bestehende systemrelevante Tätigkeiten gilt. Dazu ein Beispiel: Medizinstudent/in mit Vorqualifikation „examinierte/r Krankenpfleger/in“ jobbte neben dem Studium schon ein Jahr im Krankenhaus. Das Arbeitsvolumen bleibt unverändert und wird nicht aufgestockt. Da der/die Studierende weder eine systemrelevante Tätigkeit seit dem 1. März 2020 aufgenommen noch die Arbeitszeit aufgestockt hat, wäre de lege ferenda das Einkommen des/der Studierenden beim BAföG anzurechnen.

Hier sollte das Gesetz im parlamentarischen Verfahren noch angepasst werden.

 

  1. Die vier Anträge der Oppositionsfraktionen

In der Reihenfolge der BT-Drucksachennummern:[2]

  • Antrag der FDP-Bundestagsfraktion: Corona-Sofortprogramm für krisenfeste Studienfinanzierung (BT-Drs. 19/18677)[3]
  • Antrag der Bundestagsfraktion Die Linke: Negative Folgen der Covid-19-Pandemie für Studierende und Beschäftigte an Hochschulen abmildern (BT-Drs. 19/18683)[4]
  • Antrag der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen: Wissenschaft als tragende Säule der Pandemiebekämpfung stützen – Corona-Rettungsschirm auf Studierende und Nachwuchsforschende ausweiten (BT-Drs. 19/18707)[5]
  • Antrag der AfD-Bundestagsfraktion: Hilfe mit Augenmaß – Studenten und wissenschaftliche Mitarbeiter passgenau unterstützen (BT-Drs. 19/18728)[6]

Für eine temporär befristete BAföG-Öffnung plädieren

  • die FDP-Bundestagsfraktion
  • die Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Die Bundestagsfraktion Die Linke fordert demgegenüber einen Sozialfonds, aus dem in- und ausländische Studierende in finanziellen Notlagen Zuschüsse erhalten können. Dies kann auch als temporär befristete BAföG-Öffnung interpretierbar werden. Dafür spricht, dass die Unterstützung bis 632 €/mtl. zzgl. der tatsächlichen Mietkosten betragen soll und sicher nicht intendiert ist, BAföG-Geförderte mit derzeit insgesamt maximal 744 €/mtl. (ohne Kranken- und Pflegeversicherung) schlechter zu stellen.

Studienfinanzierung ist fast immer eine Mischfinanzierung aus verschiedenen Quellen: primärer Ausbildungsunterhalt seitens der Eltern, als dessen Surrogat BAföG und häufig additiv studentische Erwerbstätigkeit. Eine Soforthilfe für Studierende, deren Studienfinanzierungselement Erwerbstätigkeit weggebrochen ist, gehört als Ausbildungsbeihilfe in das BAföG. Das BAföG ist seit 50 Jahren das grundlegende staatliche Studienfinanzierungsinstrument. Auch gerade weil das BAföG ein besonderes Buch des Sozialgesetzbuchs ist, ist das BAföG als Regelungsbereich für Studierende bei der Gewährleistung des Lebensunterhalts in Härtefällen – wenn ein Finanzierungselement wegbricht – der richtige Standort. Dies gilt gleichermaßen für bereits BAföG-Geförderte. Der Wegfall eines BAföG-anrechnungsfreien Minijob zieht auch für diese Studierenden erhebliche Finanzierungsprobleme nach sich.

Das Deutsche Studentenwerk hat in den letzten Wochen deutlich gemacht, dass die Unterstützung in Not geratener in- und ausländischer Studierender aus seiner Sicht über eine temporär befristete Öffnung des BAföG am einfachsten zu gestalten wäre, da auf bestehende Verwaltungsverfahren, IT-Strukturen und institutionelle Voraussetzungen zurückgegriffen werden kann.

Diese Sichtweise steht in Einklang mit öffentlichen Äußerungen unterschiedlicher Institutionen, gesellschaftlicher Gruppen oder parteinaher Organisationen:

  • Kultusministerkonferenz (KMK)[7]
  • parteiübergreifend von den Jugendorganisationen Junge Union, Jusos, JuLis und Grüne Jugend[8]
  • BAS – Bundesverband ausländischer Studierender[9]
  • BAföG-Plattform „studis-online.de“ = „bafoeg-rechner.de“[10]
  • Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB)[11]

Für eine Zuschusslösung – wobei offengelassen wird, ob diese auch in das BAföG integriert sein könnte – plädieren:

  • Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW)[12]
  • German U15 (Verbund forschungsstarker, medizinführender Universitäten in Deutschland) gemeinsam mit dem freien zusammenschluss von student*innenschaften (fzs)[13]
  • Gemeinsam Hochschulrektorenkonferenz (HRK) und Deutscher Akademischer Austauschdienst (DAAD)[14]

Die AfD-Bundestagsfraktion fordert entgegen den Anträgen der Fraktionen der FDP und von Bündnis 90/Grüne anstelle einer BAföG-Öffnung eine einmalige Finanzhilfe für ein Semester, sofern Studierende einen Bedarf nachweisen können. Sie stellt in der Begründung klar, dass es dem Demokratieverständnis der Fraktion widerspräche, wenn das BAföG – auch als Nothilfe während Krisenzeiten – temporär geöffnet würde.

  1. Fazit

Zusammenfassend begrüßt das Deutsche Studentenwerk die Intentionen des Wissenschaft- und Studierendenunterstützungsgesetzes, sieht aber in einem Punkt (s.o.) Anpassungsbedarf.

Berlin, 4. Mai 2020

Achim Meyer auf der Heyde

Generalsekretär

 


[2] Per Mail vom 28.4.2020 wurde seitens des BT-Ausschusses mitgeteilt, dass der Antrag der Bundestagsfraktion Die Linke: "BAföG krisensicher gestalten - Mehr Studierende vollumfänglich fördern" (BT-Drs. 19/18688) nicht mehr Gegenstand der schriftlichen Anhörung im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ist.