13.01.2017

Studiengebühren

Stellungnahme zum Anhörungsentwurf eines Gesetzes zur Änderung des Landeshochschulgebührengesetzes und des Akademiengesetzes in Baden-Württemberg

In dieser gemeinsamen Stellungnahme mit der Arbeitsgemeinschaft der Studierendenwerk in Baden-Württemberg wenden wir uns dezidiert und mit vielen Argumenten gegen die (Wieder-)Einführung von Studiengebühren in Baden-Württemberg. Die schwarz-grüne Landesregierung will ab dem Wintersemester 2017/2018 von Studierenden aus Nicht-EU-Staaten 1.500 Euro im Semester und von Zweitstudierenden 650 Euro im Semester erheben.

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Stellungnahme des Deutschen Studentenwerks (DSW) und der Arbeitsgemeinschaft der Studierendenwerke in Baden-Württemberg zum Anhörungsentwurf eines Gesetzes zur Änderung des Landeshochschulgebührengesetzes und des Akademiengesetzes (Stand: 17.11.2016) in Baden-Württemberg

Das Deutsche Studentenwerk (DSW) ist der Dachverband der 58 Studentenwerke in Deutschland und nimmt satzungsgemäß sozialpolitische Belange der Studierenden der Hochschulen wahr.

Die Studierendenwerke in Baden-Württemberg nehmen nach ihrer im Studierendenwerksgesetz beschriebenen Zuständigkeit – im Zusammenwirken mit den staatlichen Hochschulen und den Studienakademien der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (Studienakademien) sowie den Akademien im Sinne von § 1 des Akademiengesetzes, soweit diese sich den Studierendenwerken angeschlossen haben (Einrichtungen), – Aufgaben sozialer Betreuung und Förderung der Studierenden wahr, es sei denn, dass die jeweilige Einrichtung diese Aufgaben selbst übernommen hat (Parlamentsvorbehalt).

Der sozialen Betreuung und Förderung von Studierenden können insbesondere folgende Bereiche, Einrichtungen und Maßnahmen dienen:

-    Verpflegungsbetriebe

-    Studentisches Wohnen

-    Förderung kultureller, sportlicher und sozialer Interessen

-    Kinderbetreuung

-    Gesundheitsförderung und Beratung

-    soziale Betreuung ausländischer Studierender

-    Vermittlung finanzieller Studienhilfen.

Vor diesem Hintergrund nehmen wir – das Deutsche Studentenwerk und die Arbeitsgemeinschaft der Studierendenwerke in Baden-Württemberg - zu dem Anhörungsentwurf Stellung.

 

Grundsätzliche Erwägungen zum Anhörungsentwurf

Stimmigkeit des Anhörungsentwurfs mit Internationalisierungsbestrebungen und politischen Zielen

Das Deutsche Studentenwerk (DSW) hält weiterhin daran fest, dass Studiengebühren kein geeignetes Instrument sind, um den bestehenden und zukünftigen Anforderungen des Arbeitsmarkts und der Wirtschaftsentwicklung mit ihrem gesteigerten Qualifikationsbedarf sowie der Internationalisierung des Hochschulstandorts Deutschland von Bund und Ländern (vgl. GWK-Strategie vom April 2013) Rechnung zu tragen.

Dies gilt sowohl für die Einführung von Studiengebühren für Nicht-EU-Ausländer/innen in Höhe von 1.500 € pro Semester als auch für allgemeine Zweitstudiengebühren (für Deutsche, EU-Bürger sowie Nicht-EU-Ausländer) in Höhe von 650 € pro Semester, beides sowohl an Hochschulen als auch an Akademien.

Es scheint immer noch zu wenig präsent, dass internationale Studierende einen Gewinn für Deutschland darstellen. Verlassen sie Deutschland nach dem Studium, so fungieren sie oft als positive Botschafter für den Hochschul- und Wirtschaftsstandort Deutschland. Bleiben sie nach dem Studium in Deutschland, können sie zur Minderung des Fachkräftemangels beitragen, wirken so dem demographischen Wandel entgegen und sichern das Bestehen der Sozialversicherung.

Da nach erfolgreichem Abschluss des Studiums zur Arbeitsaufnahme in Deutschland angeregt und dies auch aufenthaltsrechtlich nach § 16 Abs. 4 AufenthG flankiert wird, wirkt die beabsichtigte Wiedereinführung von Studiengebühren als eine neue Hürde für eine Studienaufnahme in Deutschland und steht im Widerspruch zur vielbeschworenen Willkommenskultur.  

 

Einbruch der Zahlen Internationaler Studierender droht

Die Landesregierung betont in ihrer Gesetzesbegründung, dass sie die Internationalisierung der Hochschulen in Baden-Württemberg weiter voranbringen will. Dies beinhaltet auch den niedrigschwelligen Zugang internationaler Studierender aus Nicht-EU-Staaten zu den Hochschulen. Anstelle einer Fokussierung auf die Höhe der Studiengebühren in China und Indien sollten vielmehr die Auswirkungen der Einführung von Studiengebühren für Nicht-EU-Ausländer/innen in anderen europäischen Staaten herangezogen werden: In Schweden ist nach der Einführung von Studiengebühren ausschließlich für Nicht-EU-Ausländer/innen die Zahl dieser Studierenden um 80 % gesunken, so dass mit einer Verdoppelung der Stipendien für Nicht-EU-Ausländer/innen begrenzt erfolgreich versucht wurde, den massiven Einbruch zu stoppen. Die Überlegungen zur Einführung solcher Gebühren in Norwegen wurden daraufhin schnell fallen gelassen.

 

Ziel der Maßnahme ist die allgemeine Haushaltskonsolidierung des Landes

Die Hochschulen werden nur marginal von den Studiengebühren profitieren, müssen den damit verbundenen Ärger aber primär aushalten. Denn Ziel des Gesetzes ist nicht eine Verbesserung der Hochschulfinanzierung, sondern vielmehr die Generierung von Mehreinnahmen zur allgemeinen Haushaltskonsolidierung des Landes Baden-Württemberg: „Von den Einnahmen fließt ein Teil in Höhe von 1.200 Euro als strukturelle Mehreinnahme in den Landeshaushalt, um Einnahmen und Ausgaben langfristig in Einklang zu bringen und Kürzungen im Hochschulbereich zu vermeiden.“

Mit den Studiengebühren soll insoweit eine - über alle Ressorts hinweg geltende - globale Mindereinnahme (Haushaltskürzung) beim Landeswissenschaftsministerium substituiert werden, um alle anderen Vorhaben innerhalb des Ministeriums nicht tangieren zu müssen.

Das Nichtantasten der bislang als erforderlich erachteten Hochschulausgaben ist sicher positiv zu würdigen, allerdings geht die beabsichtigte Wiedereinführung von Studiengebühren nach nur vierjähriger Abstinenz zu Lasten anderer Zukunftsfelder wie der Integrationspolitik und der Sicherung des Fachkräftebedarfs.

 

Probleme der Gebührenbelastung: Belastung von zwei herausgegriffenen Gruppen, Gleichheitsgedanke, Äquivalenzprinzip bei Gebühren

Laut Zielsetzung des Anhörungsentwurfs sollen die Qualität und die Kapazitäten der Hochschulausbildung gesichert werden, um dies u.a. angesichts auch steigender Zahlen Internationaler Studierender zu garantieren.

Der Kapazitätserhalt und eine gute Betreuung der Studierenden mache es (Begründung I A.1., 2. Absatz, S. 13) aufgrund der in den letzten Jahren um 40 % angestiegenen Zahl der Studierenden – auch die Zahl der internationalen Studierenden sei deutlich angewachsen – erforderlich, „in besonderen Fallkonstellationen“ Studiengebühren zu erheben. Dies soll allerdings nicht für alle Studierenden gelten, sondern es werden willkürlich zwei Gruppen von Studierenden (Nicht-EU-Ausländer/innen, Zweitstudierende) herausgegriffen, um die Qualität und Kapazitäten nicht nur ihrer, sondern der gesamten Hochschulausbildung in Baden-Württemberg zu sichern. Damit dürfte die Einhaltung des Gleichheitssatzes verletzt werden.

Ebenso wenig ist das für eine Gebührenerhebung erforderliche Leistungs-Gegenleistungsverhältnis (Äquivalenzprinzip) bei diesen zwei herausgegriffenen Gruppen vom Gesetzgeber nicht belegt, ist doch keine bessere Qualität als für andere Studierendengruppen ersichtlich. Zumal die Phase der allgemeinen Studiengebühren (in Baden-Württemberg Sommersemester 2007 bis Wintersemester 2011/12) nicht belegt hat, dass die Gebührenzahler/innen unmittelbar von den Gebühren profitierten. Die Einnahmen der Hochschulen standen erst mitten im Semester fest, mussten dann verteilt werden, so dass die Mittelausgaben mit einem großen Überhang ins nächste Semester übertragen wurden, welches Procedere sich im Folgesemester wiederholte.

 

Belastung der Hochschulen und aller Studierenden durch die Verwaltungskosten der Gebührenerhebung

Die Einnahmen aus Studiengebühren für internationale Studienende in Höhe von 1.500 € splitten sich auf in je 1.200 € als strukturelle Mehreinnahme in den Landeshaushalt und je 300 € für die Hochschulen, die diese für die Betreuung und Förderung sonstiger Belange der internationalen Studierenden verwenden sollen.

Die Hochschulen sollen die Studiengebühren erheben, daher tragen sie allein die Verwaltungskosten für deren Erhebung aus dem allgemeinen Hochschulhaushalt, denn die zu erhebenden 1.500 € sind zu 100 % verplant: 1.200 € Landeshaushalt, 300 € Hochschulbetreuung. Dies wird Forschung, Lehre sowie alle Studierenden der Hochschule gleichermaßen belasten.

Ebenso sollen die Zweitstudiengebühren von den Hochschulen „für das Land“ erhoben werden (§ 8 Abs. 1). Auch hier müssen die Hochschulen die Verwaltungskosten für die Gebührenerhebung tragen, denn die zu erwartenden Einnahmen fließen allein dem Landeshaushalt zu (S. 3 unten), so dass auch hier Forschung, Lehre sowie alle Studierenden der Hochschule gleichermaßen belastet sind.

 

Verwaltungsverfahren: Kein Widerspruchsverfahren möglich, sondern sofortige Klage erforderlich

Gemäß § 9 ist gegen die Studiengebührenbescheide, Ablehnungsbescheide der Gebührenbefreiung, der Gebührenstundung oder des Gebührenerlasses seitens der Hochschulen kein Widerspruchsverfahren vorgesehen, sondern es ist nur die direkte Klage vor dem Verwaltungsgericht möglich. Diese bürokratische Ausnahme legt die Hürde insbesondere für die internationalen Studierenden sehr hoch und bietet keine Chance der Selbstjustierung der Entscheidung durch die Ausgangsbehörde, indem von dieser die Entscheidung noch einmal begründet überdacht wird.

Ebenso wenig entspricht dies – als Ausnahme – einem bürgernahen, modernen Verwaltungsverfahren, in dem der Mensch im Mittelpunkt steht.

 

Sollvorschrift Betreuung bei internationalen Studierenden

Die Studiengebühren werden von den Hochschulen „für das Lehrangebot einschließlich der damit verbundenen Betreuung“ erhoben (§ 3 Abs. 1 Satz 1). Sofern gemäß § 4 Abs. 3 die Hochschulen von den in voller Höhe gezahlten Studiengebühren 300 € erhalten, die von den Hochschulen für die Betreuung und Förderung sonstiger Belange der internationalen Studierenden verwendet werden sollen – nicht: „müssen“ – so kommt auf diesem Weg den Studierenden – abzüglich des abzusehenden Verwaltungsaufwands für die Betreuung – weniger als 1/5 der Studiengebühren unmittelbar zugute. Im schlimmsten Fall droht, dass die Hochschulen die auferlegten Verwaltungskosten für die Studiengebührenerhebung hier „refinanzieren“.

Laut Begründung des Anhörungsentwurfs benötigen internationale Studierende eine „spezifische Betreuung und Ansprache an den Hochschulen“, um den signifikant höheren Abbruchquoten bei internationalen Studierenden zu entgegnen. Mit der Finanzierung von Betreuung und Förderung soll es also um Vermeidung von Studienabbruch aufgrund von Studienproblemen gehen. Dabei stellt die Studienfinanzierung mindestens ein gleichwertiges Problem dar. Eine Erhöhung des Jahresbedarfs um 3.000 € potenziert die Studienfinanzierungsprobleme für internationale Studierende und wirkt somit vielmehr kontraproduktiv im Hinblick auf die Lösung des Studienabbruchproblems.

Auch werden Betreuung und Förderung nicht allein durch die Hochschulen und Akademien wahrgenommen. Vielmehr sieht der Gesetzgeber in diesem Kontext eine originäre Aufgabenerfüllung seitens der Studierendenwerke: „soziale Betreuung ausländischer Studierender“ (siehe Studierendenwerksgesetz) im Zusammenwirken“ mit den Hochschulen und Akademien an den unterschiedlichen Standorten“ vor. Der für die Hochschulen vorgesehene Teil der zu erhebenden Studiengebühren soll für die Betreuung ausschließlich im Zusammenhang mit dem Lehrangebot eingesetzt werden (§ 3 Abs. 1 Satz 1). Soll der Studienabbruch von internationalen Studierenden jedoch nachhaltig vermieden werden, dann werden zusätzliche Investitionen in die soziale Infrastruktur erforderlich, wie Förderung preisgünstigen Wohnraums (Neubau und Sanierung), Ausbau der sozialen und psychologischen Beratungsangebote, Stipendien etc. Insofern müsste parallel der Landeszuschuss an die Studierendenwerke erhöht werden.

 

Die Ausgestaltung des Anhörungsentwurfs im Einzelnen

Nicht ausreichende soziale Abfederung der Studiengebühren

 

Soziale Abfederung unabdingbar auch für internationale Studierende

Gegen die beabsichtigte Erhebung von Studiengebühren für Nicht-EU-Ausländer/innen spricht vor allem die nicht ausreichende Berücksichtigung der Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts, wonach die Bundesländer Studiengebühren sozial abzufedern haben. Dies gilt nicht nur bei allgemeinen Studiengebühren, sondern generell ohne Bindung an eine Staatsangehörigkeit (BVerfG: Bevölkerung, jedermann).

 

Besonders hohe Anforderungen an die soziale Abfederung aufgrund erheblich geringerem Budget von internationalen Studierenden

Der Abfederung von finanziellen Belastungen kommt insbesondere bei internationalen Studierenden besondere Bedeutung zu, denn diese verfügen im Durchschnitt über 749 € pro Monat (Ledige) bzw. 812 € pro Monat (Verheiratete) zur Finanzierung ihres Lebensunterhalts und haben insoweit weniger Geld als deutsche Studierende (864 € pro Monat) zur Verfügung. Die Studienfinanzierung der internationalen Studierenden liegt somit bereits jetzt 115 Euro zurück – und dies im Durchschnitt. Nicht von ungefähr jobben daher 48% neben dem Studium und ist dies für 78% zur Bestreitung des Lebensunterhalts unerlässlich.

Internationale Studierende haben besondere Ausgaben in Form von zusätzlichen Gebühren, z.B. für Sprachkurse, Übersetzung von Dokumenten, Aufenthaltstitel, ggf. gesonderte Zulassung über Uni-Assist.

 

Befreiungstatbestände als alleinige soziale Abfederung von Studiengebühren reichen nicht aus

Der damaligen Feststellung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) zu allgemeinen Studiengebühren in Baden-Württemberg wird mit dem vorliegenden Gesetzesentwurf nicht mehr Rechnung getragen: „Der Landesgesetzgeber war sich, wie die Gesetzesmaterialien (LTDrucks 13/4858 S. 35 ff.) belegen, der Problematik bewusst, dass allgemeinen Studiengebühren grundsätzlich eine abschreckende oder verdrängende Wirkung insbesondere im Hinblick auf Studienberechtigte aus einkommensschwachen Bevölkerungsschichten und bildungsfernen Elternhäusern zukommen kann. Er hat dieser Gefahr durch die Ausgestaltung des Studiengebührenrechts in einer Weise entgegengewirkt, die unter Berücksichtigung der Einschätzungsprärogative und des Gestaltungsspielraums, die ihm zustehen, bundesrechtlich nicht beanstandet werden kann.“

Im Anhörungsentwurf wird dem nicht durch eine besondere Ausgestaltung der sozialen Abfederung der durchschnittlich finanzschwachen Gruppe der internationalen Studierenden Rechnung getragen, es werden lediglich auf S. 17 Maßnahmen zur Sozialverträglichkeit aufgeführt.

 

Abweichung von bisherigen Maßnahmen zur sozialen Abfederung allgemeiner Studiengebühren

Diese Abweichung zeigt eine grobe Übersicht über die Maßnahmen zur sozialen Abfederung von Studiengebühren in Baden-Württemberg:

 

 

Alt

Neu

Maßnahmen zur Abfederung

Allgemeine Studiengebühren SoSe 2007 bis WS 2011/12 (einschl.)

Studiengebühren Nicht-EU-Ausländer/innen ab WS 2017/2018

Studiengebühren Zweitstudium ab WS 2017/2018

Gebührenbefreiung, -ermäßigung, -erlass, -stundung

ja

ja

nein

Studiengebührenkredit von L-Bank

ja

nein

nein

Stipendien für Studiengebühren

nein

nein

nein

 

Die von den klagenden Bundesländern (u.a. Baden-Württemberg) im Kompetenzstreit über Studiengebühren vor dem Bundesverfassungsgericht hervorgehobenen beiden Komponenten – großzügige Stipendien und billige Kredite - werden nunmehr nicht mehr ins Auge gefasst.

 

Stipendien zur sozialen Abfederung der Studiengebühren fehlen völlig

Sollte die Landesregierung die Einführung der Studiengebühren trotz aller genannten Bedenken verfolgen, so müsste sie daher ein millionenstarkes Stipendienprogramm auflegen – zu Lasten des Landeshaushalts.

 

Studiengebührenkredite stellen kein geeignetes Instrument der sozialen Abfederung von Studiengebühren dar

Studiengebührenkredite wurden schon in der letzten Phase der Studiengebühren kaum als Instrument genutzt, wie die Ergebnisse der 19. Sozialerhebung des DSW trotz aller Länderunterschiedlichkeit gezeigt haben:

  • Die Eltern haben zumeist die Studiengebühren übernommen, inzwischen sind deutsche Eltern dazu auch unterhaltsrechtlich verpflichtet.
  • Die Höhe der elterlichen Unterstützung hat im Gegenzug dazu abgenommen.
  • Insbesondere die Studierenden aus einkommensschwächeren Elternhäusern haben sich die Studiengebühren durch extensiveres Jobben selbst erwirtschaftet, auch auf die Gefahr hin, dass dies studienzeitverlängernd wirkt – und neue Kosten generiert.
  • Von den Befreiungstatbeständen haben überproportional Studierende aus höheren sozialen Schichten profitiert.
  • Nur wer nicht anders kann, nimmt einen Studiengebührenkredit.

Letztlich stellt sich eine Durchsetzung der Rückzahlung von Studienkrediten im Ausland meist überaus aufwändig bis gar erfolglos dar.

 

Der Landesgesetzgeber muss über das eine Instrument „Studiengebührenbefreiung“ hinaus daher noch weitere Instrumente entwickeln

Angesichts der besonderen Finanzierungssituation internationaler Studierender darf der Landesgesetzgeber gegenüber allgemeinen Studiengebühren die soziale Abfederung nicht allein auf Befreiungstatbestände verkürzen, sondern muss weitere Elemente hinzufügen (z.B. Stipendien).

Einige Länder – auch Österreich – hatten daher Staatsangehörige einer Liste der ärmsten Staaten der Erde (z.B. Liste der least developed countries der Vereinten Nationen) von Studiengebühren befreit. Auch hier wäre daher der Landesgesetzgeber gefordert, entsprechende Kriterien zu formulieren und nicht einfach von einer formalen Gleichheit internationaler Studierenden auszugehen.

 

Die Gebührenbefreiungstatbestände internationaler Studierender

BAföG-Empfänger/innen sind befreit

Die Gebührenbefreiungstatbestände, die die Landesregierung in § 5 benennt, sind weitgehend lediglich § 8 BAföG (Staatsangehörigkeit) nachempfunden. Wer BAföG bezieht, kann auch Gebührenbefreiung erhalten, wer jedoch kein BAföG bezieht, dem wird keine Gebührenbefreiung gewährt, ist also doppelt betroffen. Dies verdeutlicht die besondere – doppelte –Erschwernis für die Gruppen, die nicht unter § 8 BAföG fallen.

 

Neuer, zusätzlicher Verwaltungsaufwand für die Hochschulen: Prüfung des Aufenthaltsstatus

Bislang überprüfen allein die BAföG-Ämter die Übereinstimmung von Gesetz und gewährtem Aufenthaltsstatus, der sich explizit in Bescheiden der Ausländerbehörde oder in Pässen wiederfindet. Dies trifft aber nur BAföG-Antragsteller.

Seitens der Hochschulen wird der konkrete Aufenthaltsstatus bislang hingegen nicht erfasst. Eine Prüfung der Befreiung nur selektiver Aufenthaltstatbestände bedeutet deshalb einen neuen, zusätzlichen Verwaltungsaufwand für die Hochschulen.

Diese Prüfung kann sehr kleinteilig werden. Von Ausländerbehörden wird eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt EU (im Anhörungsentwurf § 5 Nr. 2) gar nicht mehr ausgestellt, was z.B. beim BAföG die Folge hat, dass die BAföG-Ämter anhand der Angaben der Beteiligten (Zeitpunkt der Einreise usw.) selbst prüfen und entscheiden müssen. Analog müssten bei der Prüfung der Befreiung von Studiengebühren auch die Hochschulen selbst prüfen und entscheiden, ob die Anforderungen an den Daueraufenthalt erfüllt sind.

 

Nicht alle Geflüchteten sind befreit

Entgegen der Aussage der Landesregierung sind Geflüchtete nicht generell ausgenommen. Befreit sind anerkannte Flüchtlinge (nach der Genfer Konvention). Diesen Status erhalten z.B. Syrer/innen gar nicht mehr, sondern sie erhalten ein Aufenthaltsrecht aus humanitären Gründen oder sie sind geduldet. Zwar sind auch sie befreit, aber generell gilt eine Befreiung nur dann, wenn bereits ein Aufenthaltsstatus besteht. Geflüchtete im Asylverfahren (die noch gar keinen Aufenthaltsstatus haben) oder abgelehnte Geflüchtete ohne Aufenthaltsstatus erhalten keine Befreiung.

 

Sonstige Befreiungstatbestände

Über § 8 BAföG hinaus sind Nicht-EU-Ausländer/innen nur in folgenden Fällen befreit:

-           als Bildungsinländer (§ 3 Abs. 2)

-           mit einem abgeschlossenen Bachelor- plus konsekutives Masterstudium im Inland (§ 5 Nr. 10)

-           bei Immatrikulation aufgrund internationaler Abkommen, die Abgabenfreiheit garantieren (§ 6 Abs. 1 Satz 1)

-           aufgrund einer Hochschulkooperation maximal 2 Semester, sofern dies auf Gegenseitigkeit beruht (§ 6 Abs. 1 Satz 2)

-           bei Beurlaubung vor Vorlesungsbeginn, Praktisches Jahr und praktischer Studiensemester (§ 6 Abs. 2 Nr. 1-3)

-           aufgrund Gebührenermäßigung oder –befreiung per Rechtsverordnung des Landeswissenschaftsministeriums: aus Billigkeitsgründen oder aus öffentlichem Interesse (§ 6 Abs. 3)

-           vollständig oder teilweise als „besonders begabte“ Studierende per Hochschulsatzung (max. 5 %) Additiv kann jede Hochschule wenigstens eine/n besonders begabte/n Studierende/n befreien (§ 6 Abs. 4 und 5).

-           sofern sich eine Behinderung erheblich studienverzögernd auswirkt (§ 6 Abs. 6) (Sollvorschrift)

-           vollständige oder teilweise Stundung oder Befreiung (Gebührenerlass), sofern Studierende nach Aufnahme des Studiums unverschuldet in eine Notlage geraten (§ 7)

Andere Gebührenbefreiungstatstände, wie man sie aus Studiengebührengesetzen kennt, wie beispielsweise einen Geschwistererlass, gibt es nicht.

Insbesondere die Sollvorschrift „sofern sich eine Behinderung erheblich studienzeitverzögernd auswirkt“ (§ 6 Abs. 6) ist als zwingend umzuformulieren, um der UN-Behindertenrechtskonvention Rechnung zu tragen. Zudem ist das Wort „erheblich“ zu streichen, da eine Abstufung nur unter allergrößtem Verwaltungsaufwand zu prüfen wäre und eine „unerhebliche“ studienzeitverzögernde Auswirkung generell einer nicht erheblichen, also unbeachtlichen Auswirkung gleichkommt.

 

Studiengebühren für ein Zweitstudium

Nur wenige Ausnahmen von der Studiengebührenpflicht

Bei den Studiengebühren für ein Zweitstudium (doppeltes Bachelor- oder Masterstudium) sind lediglich folgende Ausnahmen vorgesehen:

-           Sofern eine – höhere – Studiengebühr von Nicht-EU-Ausländer/innen erhoben wird.

-           Der Wechsel von Studienfächern innerhalb eines Studiengangs oder der Wechsel des Studiengangs ohne Abschluss stellt kein Zweitstudium dar.

-           Parallelstudium an mehreren Hochschulen in Baden-Württemberg

-           Sofern es nach berufsrechtlichen Regelungen für die Erlangung eines Berufsabschlusses erforderlich ist, wie bei der Kieferchirurgie. Eine ausschließliche Fokussierung auf feste, gesetzlich geregelte – aber zum Teil in der Praxis überholte – Berufsbilder reicht nicht, vielmehr werden weitere Ausnahmen erforderlich.

 

Zwingende Härtefallregelung fehlt

Es fehlt an einer Härtefallregelung. Ohne eine Härtefallregelung – wie bei internationalen Studierenden in § 6 Abs. 3 oder in § 7 – wäre aber der Regelungskomplex verfassungswidrig.

 

Fazit

Insgesamt wird der Gesetzentwurf daher kritisch gesehen. Selbst wenn die Landesregierung die Kritik nicht vollumfänglich teilen würde, so wäre doch ein erheblicher Nachbesserungsbedarf erforderlich, der dann aber nicht mehr das Ziel der Haushaltskonsolidierung in dem geplanten Umfang erreichen würde.

 

Berlin, 13.1.2017

Achim Meyer auf der Heyde

Generalsekretär des Deutschen Studentenwerks