16.04.2023

Studentisches Wohnen

Stellungnahme des Deutschen Studierendenwerks (DSW) - „Programm Junges Wohnen und zu sozialer Infrastruktur für Studierende und Auszubildende“

Stellungnahme des Deutschen Studierendenwerks (DSW) zum Expertengespräch des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung des Deutschen Bundestags zum Thema „Programm Junges Wohnen und zu sozialer Infrastruktur für Studierende und Auszubildende“ im Rahmen einer öffentlichen Ausschusssitzung am 19. April 2023.

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1. Vorbemerkung

Das Deutsche Studierendenwerk e.V. (DSW) ist der Verband der 57 Studenten- und Studierendenwerke in Deutschland. Es vertritt entsprechend seiner Satzung deren Interessen sowie die sozialpolitischen Belange der Studierenden. Zu den Kernaufgaben der Studierendenwerke gehört die Versorgung von Studierenden mit preisgünstigem und studiengerechtem Wohnraum in Studierendenwohnheimen.

Vor diesem Hintergrund nimmt das Deutsche Studentenwerk Stellung zum Thema „Programm Junges Wohnen und zu sozialer Infrastruktur für Studierende und Auszubildende“.

2. Start des Bund- Länder-Programms Junges Wohnen

Das Bund-Länder-Programm „Junges Wohnen“ ist am 24.03. 2024 mit der Unterzeichnung der besonderen Verwaltungsvereinbarung Junges Wohnen durch das Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (BMWSB) sowie der Bundesländer gestartet und wurde am 30. März 2023 von Frau Ministerin Klara Geywitz in der Studierendenwohnanlage Siegmunds Hof des Studierendenwerks Berlin den Medien vorgestellt. Der Bund stellt damit 500 Mio. € für die Förderung von studentischem Wohnheimbau aber auch für den Azubiwohnheimbau sowie deren Modernisierung zur Verfügung.

Für die Studierendenwerke und damit auch für die rund 2,9 Millionen Studierenden in Deutschland können wir sagen: Das ist ein enorm wichtiger Tag. Es ist wichtig, dass Bund und Länder nun gemeinsam Mittel bereitstellen, um mehr bezahlbaren Wohnraum auch für Studierende zu schaffen und zu modernisieren. Der Wieder-Einstieg insbesondere des Bundes auch in die Wohnheimförderung für Studierende ist aus unserer Sicht ein politischer Meilenstein, den es zu würdigen gilt.

Viele Studierende stehen angesichts der rasant steigenden Preise für Energie und Lebensmittel finanziell mit dem Rücken zur Wand. Die Mieten in den Hochschulstädten schießen nach oben. Bezahlbarer Wohnraum für Studierende ist in so gut wie allen deutschen Hochschulstädten zur absoluten Mangelware geworden. Der Mangel an bezahlbarem Wohnraum ist eine brennende soziale Frage unserer Zeit, nicht allein für die Studierenden.

Die Wahl des Hochschulorts darf aber nicht davon abhängen, ob sich Studierende vor Ort die Miete leisten können. Zur Erinnerung: Beim BAföG sind fürs Wohnen 360 Euro im Monat vorgesehen. Das reicht in kaum einer Hochschulstadt für ein WG-Zimmer. Die jüngst veröffentlichte Studie des Moses Mendelssohn Instituts in Zusammenarbeit mit dem Online-Portal WG-gesucht zeigt, dass junge Menschen mit durchschnittlich 458 Euro pro Monat für ein übliches WG-Zimmer noch einmal 23 Euro pro Monat mehr zahlen müssen als noch vor einem halben Jahr, zu Beginn des Wintersemesters 2022/23. Zu diesem Zeitpunkt standen laut aktuellen Umfragen bei den Studierendenwerken rund 38.000 Menschen in elf großen Universitätsstädten auf den Wartelisten für einen Wohnheimplatz.

Wir begrüßen deshalb als Deutsches Studierendenwerk das Bund-Länder-Programm ‚Junges Wohnen‘ ausdrücklich, um mehr bezahlbaren Wohnraum für die junge Generation zu schaffen. Mehrere Jahrzehnte war die Zuständigkeit für den Studierenden-Wohnheimbau allein den Bundesländern überlassen worden. Jetzt steigt der Bund wieder kraftvoll ein: ein Meilenstein.

Die Bundesregierung legt mit dem ‚Jungen Wohnen‘ ein Förderprogramm mit einem Bundes-Anteil von 500 Millionen Euro auf. Das ist das größte Förderprogramm für junges Wohnen seit der deutschen Wiedervereinigung!

Dennoch ist es wichtig, an dieser Stelle zu betonen, dass wir eine Verstetigung einer solchen gemeinsamen Förderung von Bund und Ländern benötigen. Studierendenwohnheime werden weder über Nacht gebaut noch saniert. Immobilienprojekte benötigen Zeit, vom Grundstückserwerb über die Schaffung von Baurecht, die Projektplanung, ggf. europaweite Ausschreibungsverfahren etc. bis hin zur Umsetzungsphase. Hier kommen viele Parameter ins Spiel. Das kann durchaus drei Jahre in Anspruch nehmen, das ist leider nicht unüblich. Mit einem einmaligen Förderprogramm befristet wird keine aber dringend notwendige Planungssicherheit geschaffen. Das aktuelle Bund-Länderprogramm „Junges Wohnen“ kann insofern nur ein erster Auftakt sein, wenn auch ein zu würdigender und guter Auftakt. Wir begrüßen auch ausdrücklich, dass Frau Ministerin Geywitz bei der Vorstellung des Programmes „Junges Wohnen“ am 30.3.2023 gegenüber den Medien erklärte, sie wäre bereit, im kommenden Jahr noch einmal weitere 500 Millionen Euro Bundesmittel zur Verfügung zu stellen, wenn die Mittel in diesem Jahr gut abgerufen würden.

Unser Appell geht an die Bundesländer, dass sie Ihrerseits, die Landes-Fördermittel für das ‚Junge Wohnen‘ bereitstellen. Der Bund stellt die Finanzhilfen nach dem Königsteiner Schlüssel den Ländern zur Verfügung. Die Umsetzung des Programms liegt weitestgehend in der Verantwortung der Länder. Es ist an ihnen, dem Programm zusätzlich Kraft und Volumen zu verleihen!

Die Studierendenwerke stehen bereit. Sie wollen mit den Bund-Länder-Fördermitteln bauen und modernisieren, auch unter den aktuell schwierigen konjunkturellen Rahmenbedingungen und bei extrem steigenden Baupreisen.

Die Studierendenwerke haben mehr als 100 Jahre Erfahrung im studentischen Wohnen. Sie verfügen über das fachliche Know-how und sind aufgrund ihrer Organisationsstruktur so nahe an der Zielgruppe der Studierenden und ihren Bedarfen wie niemand sonst. Sie betreiben heute rund 195.000 Wohnheimplätze für Studierende. Mit einer durchschnittlichen Miete von gerade einmal 267 Euro warm (Stand 31.12.2021) ist das Studierendenwerks-Wohnheim nach wie vor die günstigste Wohnform außerhalb des Elternhauses. Die Studierendenwerke sind soziale, nicht renditetorientierte, faire, aktive Vermieter. Sie sind für die Studierenden da, und sie fördern und organisieren studentische Communities.

3. Aktuelle und künftige Parameter der studentischen Wohnraumversorgung

Bundesweit existieren 237.626 öffentlich geförderte Wohnplätze, davon rd. 194.575 (82%) im Bereich der Studenten- und Studierendenwerke. Die meisten dieser Plätze befinden sich in Studierendenwohnheimen. Vielerorts haben die Studierendenwerke zudem bei Dritten Wohnplätze auf eigenes wirtschaftliches Risiko angemietet, um diesen Wohnraum bedürftigen Studierenden zur Verfügung stellen zu können. Alle Wohnplätze werden von den Studierendenwerken entsprechend ihrem öffentlichen Auftrag bewirtschaftet.

Die Zahl der Studierenden insgesamt ist seit 2007 von 1,94 auf rd. 2,9 Millionen angestiegen. Sie wird auch längerfristig auf hohem Niveau verharren. Der Ausbau der staatlich geförderten Wohnheimplätze hat jedoch bei weitem nicht mit dem Anstieg der Studierendenzahlen Schritt gehalten. Während die Zahl der staatlich geförderten Studien-Plätze seit dem Jahr 2007 um 52% stieg – wuchs die Zahl der staatlich geförderten Wohnheim-Plätze lediglich um 7%. Die bestehenden Wohnheimkapazitäten reichen infolgedessen vielerorts nicht aus. Insgesamt ist die Versorgungsquote in den letzten Jahren immer weiter auf inzwischen auf 9,52 % gesunken.

Entsprechend schätzt die Kultusministerkonferenz in ihren aktuellen Berechnungen von 2019, dass insbesondere die Studienanfängerzahlen aber auch die Studierendenzahlen insgesamt dauerhaft hoch bleiben und in den Metropolen entsprechend der demografischen Entwicklung sogar mittel- bis langfristig steigen. Bis 2030 prognostiziert die Kultusministerkonferenz weiterhin rd. 510.000 Studienanfänger jährlich.

Zudem beträgt die Zahl der internationalen Studierenden im WS 2021/22 rd. 440.000 ausländische Studierende, Mitte der 1990er Jahre waren es gerade rund 120.000. Die Attraktivität Deutschlands als Studienstandort für internationale Studierende ist ungebrochen und dürfte mittelfristig noch weiter steigen.

Vor allem Studienanfänger/innen, internationale Studierende und Studierende mit einem geringen Einkommen sind jedoch auf Wohnheimplätze angewiesen, wie die Sozialerhebungen des Deutschen Studierendenwerks immer wieder darlegen. Denn gerade Studierende mit einem schwachen Einkommen konkurrieren auf dem weiterhin angespannten freien Wohnungsmarkt mit Menschen mit geringen bzw. mittleren Einkommen um preisgünstigen, bezahlbaren Wohnraum.

Rund 28% der deutschen Studierenden verfügen nach der letzten, 21. Sozialerhebung des Deutschen Studierendenwerks aus dem jahr 2016 über Einnahmen unter dem damaligen BAföG-Satz von 735 Euro monatlich; die Budgets ausländischer Studierenden liegen häufig sogar darunter. Das Wohnheim ist daher die beliebteste und häufigste Wohnform gerade auch internationaler Studierender. Der Anteil von internationalen Studierenden in den Wohnheimen liegt im Bundesdurchschnitt bei rund 40%.

Ein Platz in einem Studierendenwohnheim ist für Studierende weiterhin die deutlich preisgünstigste Wohnform – abgesehen vom Elternhaus. Die durchschnittliche Monatsmiete in den Studentenwohn-anlagen der Studenten- und Studierendenwerke betrug zum 31.12.2021 einschließlich aller Nebenkosten lediglich rd. 267 Euro. Unsere Sozialerhebungen, so auch die 21. aus 2016, bestätigen regelmäßig, dass die Ausgaben für Miete und Nebenkosten das studentische Budget weitaus am stärksten belasten. Gerade Studierende im untersten Einnahmequartil (bis 700 monatlich) haben durchschnittlich Mietausgaben in Höhe von 274 € mtl. und benötigen mit durchschnittlich 46% fast die Hälfte ihrer Einnahmen zur Begleichung der Mietausgaben. Die in unserem im Auftrag im Jahr 2019 auf Basis der Daten der 21. Sozialerhebung erstellte weiterführende Studie “Ermittlung der Lebenshaltungskosten von Studierenden“ belegt eine erhebliche Mietausgabensteigerung gegenüber der Vorgängerstudie (aus 2012) überwiegend für die ärmeren Studierenden. Zugleich kommt sie zum Ergebnis, dass v.a. Studienanfänger und Studierende in den Anfangssemestern durchschnittliche Mietkosten ab 360 € haben, eine Folge der nachfragebedingten Mietsteigerungen am Wohnungsmarkt, die in der Spitze bis zu 55% ausmachen. Laut der Untersuchung müssen v.a. Studierende mit niedrigem Einkommen infolgedessen bei der Ernährung sparen, sie bewegen sich damit zum Teil am Rande des physischen Existenzminimums.

Vor diesem Hintergrund können sich viele Studierende allenfalls eine Miete auf Wohnheimniveau leisten. Daher wird die Nachfrage nach preisgünstigem, bezahlbaren Wohnraum zu einem Mietniveau weit unterhalb der aktuellen BAföG-Wohnbedarfspauschale von 360 € insbesondere seitens einkommensschwächerer Studierender auch künftig hoch bleiben. Zumal von der BAföG-Förderung aktuell nur noch 11% der Studierenden profitieren.

Die Studierendenwerke decken mit ihrem Angebot in erster Linie den Bedarf an Wohnraum für Studierende mit geringerem Einkommen, internationale Studierende und insbesondere Studienanfänger. Letztere stehen bei der Gestaltung von Präsenzangeboten auch während der Corona Pandemie im Fokus der Hochschulen, um ihre zügige sozialakademische Integration zu fördern und den Studienstart zu erleichtern. Auch wurde im Rahmen der Gewährung der Überbrückungshilfe während der Corona Pandemie erneut deutlich, dass ein Teil der Studierenden in struktureller Armut lebt und dies auch schon vor der Corona Pandemie, sie somit auf einen preisgünstigen Wohnheimplatz dringend angewiesen sind.

Das Deutsche Studierendenwerk hat in seinen Mitgliederversammlungsbeschlüssen zu einem die Hochschulpakte flankierenden Hochschulsozialpakt einen bundesweiten Bedarf von mindestens 25.000 zusätzlichen preisgünstigen Plätzen veranschlagt, wobei die Bedarfe regional unterschiedlich ausfallen. Dies entspräche derzeit einem Investitionsvolumen von rund 3 Mrd. Euro und einem Zuschussvolumen von rund 1,5 Mrd. Euro, legt man eine notwendige hälftige Zuschussförderung zugrunde. Mittels dieser Zuschussförderung ist je nach Standortbedingungen eine Miete von rd. 270 Euro inkl. Nebenkosten, Ausstattung und Internetanschluss möglich. Für den vielerorts notwendigen Sanierungsbedarf zum Erhalt des vorhandenen preisgünstigen studentischen Wohnraums beläuft sich das dafür notwendige Investitionsvolumen für die kommenden drei Jahre auf insgesamt 2,2 Mrd. Euro. Bei einer hälftigen Zuschussförderung besteht hier ein weiterer Bedarf in Höhe von 1,1 Mrd. Euro. Insgesamt werden für Neubau und Sanierung 2,6 Mrd. Euro an zusätzlichen staatlichen Zuschüssen benötigt.

4. Handlungserfordernisse

These 1: Die Wahl des Studienorts – und damit die im Grundgesetz garantierte freie Berufswahl – droht vom Geldbeutel der Eltern abhängig zu werden angesichts der Mietentwicklung in den Hochschulstädten! Das ist Gift für die Chancengleichheit und die Zukunft der Hochschulbildung. Der soziale Frieden ist bedroht, wenn nicht massiv zusätzlicher bezahlbarer Wohnraum für Studierende geschaffen und modernisiert wird.

These 2: Der Wieder-Einstieg des Bundes in die Wohnheimförderung für Studierende ist das wichtigste politische Signal seit Jahrzehnten: Der Staat greift wieder mit starker Hand ein und steuert gegen! Der Mangel an bezahlbarem Wohnraum ist eine brennende soziale Frage unserer Zeit, endlich steuert in Deutschland auch die Bundesregierung gegen. Das begrüßen wir als deutsche Studenten- und Studierendenwerke ausdrücklich. Hier ist wichtig, dass es zukunftsorientiert zu einer Verstetigung der gemeinsamen Förderung durch Bund und Länder kommt.

These 3: Bezahlbarer Wohnraum für Studierende ist auch ein Mittel gegen Fachkräftemangel (Ärzt*innen, Lehrer*innen, Ingenieur*innen, Informatiker*innen). Wohnen und Fachkräftebedarf müssen zukunftsorientiert zusammen gedacht werden. Deutschland benötigt händeringend Hochqualifizierte; die Wirtschafts- und Innovationsfähigkeit unseres Landes hängt auch davon ab, ob studierfähige junge Menschen in den Hochschulstädten überhaupt noch eine bezahlbare Bleibe finden. Wohnraumförderung für Studierende ist beste Wirtschafts- und Innovationspolitik.

Berlin, 14. April 2023

Stefan Grob, Stellvertreter des Vorstandsvorsitzenden