12.05.2011

Studieren mit Behinderung

Stellungnahme des Deutschen Studentenwerks zum Nationalen Aktionsplan der Bundesregierung zur Umsetzung des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte der Menschen mit Behinderungen. Referentenentwurf vom 27.4.11.

Der Entwurf zur Gesamtstrategie der Bundesregierung zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention wird im Bereich Hochschule nur bedingt seinem Anspruch gerecht.

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Vorbemerkungen

 

In Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention hat das BMAS den Entwurf eines Nationalen Aktionsplanes vorgelegt und die an den bisherigen Konsultationen (Visionen- und Maßnahmenkongress) beteiligten Verbände um Stellungnahme gebeten. Das DSW bezieht sich in seiner Stellungnahme auf die Punkte 2 Berichterstattung sowie 3.22 Hochschule des Entwurfes.

 

Die Bundesregierung verpflichtet sich im Nationalen Aktionsplan, die Länder und Hochschulen bei den begonnenen Reformprozessen im Hochschulbereich aktiv zu unterstützen. Das DSW begrüßt dieses Bekenntnis des Bundes zu seiner bildungspolitischen Verantwortung, Menschen mit Behinderung/chronischer Krankheit einen chancengerechten und diskriminierungsfreien Zugang zu Hochschule und lebenslangem Lernen zu ermöglichen.

 

Der Nationale Aktionsplan der Bundesregierung soll neben einer Bestandsaufnahme die Ziele und Maßnahmen der Bundesregierung zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in einer Gesamtstrategie für die nächsten zehn Jahre zusammenfassen. Diesem Anspruch wird der vorliegende Entwurf im Bereich Hochschule nur bedingt gerecht. Er benennt einzelne, von BMBF und BMAS geförderte Projekte, lässt jedoch offen, wie die Bundesregierung die im Aktionsplan zutreffend genannten Probleme bei der Zulassung, Studiengestaltung sowie Studienfinanzierung lösen will.

 

Anmerkungen im Einzelnen
 

Zu Punkt 2. Der neue Behindertenbericht: Verlässliche Datenlage zur Lebenssituation behinderter Menschen 

Die Bundesregierung hebt die Notwendigkeit hervor, die Datenlage zur Lebenswirklichkeit der Menschen mit Behinderung deutlich zu verbessern. Diese Notwendigkeit sieht das DSW auch für den Bereich der Studierenden mit Behinderung/chronischer Krankheit. Bisher werden Daten zu Studierenden mit Behinderung/chronischer Krankheit in jeder zweiten Sozialerhebung erhoben, die das Deutsche Studentenwerk im Auftrag des BMBF durchführt und mit der Daten zur sozialen und wirtschaftlichen Lage der Studierenden erfasst werden. Angesichts des anerkannten Mangels an statistischen Informationen zur Situation der Studierenden mit Behinderung/chronischer Krankheit führt das Deutsche Studentenwerk im Auftrag des BMBF 2011/2012 eine Sondererhebung zur Situation von Studierenden mit Behinderung im Bachelor-/Master-Studiensystem durch. Um die Datenlage grundlegend zu verbessern sollten Daten zur Situation der Studierenden mit Behinderung künftig in jeder Sozialerhebung erhoben sowie entsprechende Fragestellungen in alle Studierendenbefragungen eingebunden werden. Punkt 2 ist entsprechend zu ergänzen.

 

Zu 3.2.2. Hochschule 

a) Hochschulzulassung

Die Bundesregierung macht zutreffend auf die neuen Herausforderungen im Bereich der Studienzulassung aufmerksam. Diese ergeben sich aus der Umstellung auf das zweistufige Bachelor-Master-Studiensystem sowie aus der Föderalismusreform und der damit verbundenen Übertragung von Steuerungskompetenzen vom Bund auf die Länder sowie von den Ländern

auf die Hochschulen (Stärkung des Selbstauswahlrechts der Hochschulen). Maßnahmen sieht der Aktionsplan in diesem Bereich nicht vor. Der Bund sollte jedoch seine Regelungskompetenz nach Artikel 74 Grundgesetz nutzen um sicher zu stellen, dass Nachteilsausgleichsregelungen und angemessene Härtequoten Chancengleichheit für Studienbewerber/innen mit Behinderung/chronischer Krankheit bei der Zulassung zu den Bachelor- wie Masterstudiengängen gewährleisten.

 

b) Studienfinanzierung

Die Bundesregierung weist zutreffend auf die Probleme hin, die Studierende mit Behinderung bei der Finanzierung ihres behinderungsbedingten Studienmehrbedarfs haben. Klarzustellen ist, dass auch die genannte Schwierigkeit Studierender mit Behinderung, höherwertige Abschlüsse wie z.B. einen Master oder eine Promotion zu erwerben, eine unmittelbare Folge der gegenwärtigen Regelungen zur Finanzierung der benötigten Unterstützungsleistungen im Rahmen der Eingliederungshilfe ist. Die Bundesregierung lässt offen, wie die von ihr konstatierten Probleme gelöst werden sollen. Eine Lösung verlangt die Anpassung der sozialrechtlichen Regelungen an die modernen und politisch gewollten Bildungsverläufe sowie an die geänderten Erfordernisse des Arbeitsmarktes. Die im Einzelfall notwendigen Leistungen müssen für alle Ausbildungsabschnitte im tertiären Bildungsbereich diskriminierungsfrei zur Verfügung stehen und dem Primat des lebenslangen Lernens gerecht werden, einkommens- und vermögensunabhängig sowie zügig und fristgerecht erbracht werden. Der Gesetzgeber ist aufgefordert, im Rahmen der geplanten Reform der Eingliederungshilfe eine Lösung für die bestehenden Probleme bei der Finanzierung der im Einzelfall erforderlichen technischen Hilfen und personellen Assistenzen zu schaffen.

 

Völlig unberücksichtigt bleibt im Aktionsplan, dass die grenzüberschreitende Mobilität von Studierenden mit Behinderung/chronischer Krankheit aufgrund fehlender Harmonisierung der Sozialsysteme nicht umfassend gesichert ist. Hier besteht ebenfalls gesetzlicher Regelungsbedarf.

 

c) Maßnahmen zur Förderung von Chancengleichheit

Die Bundesregierung verweist im Aktionsplan auf die von ihr geförderten Projekte/Maßnahmen zur Verbesserung der Situation Studierender mit Behinderung/chronischer Krankheit. Das DSW begrüßt die Bereitschaft, die Informations- und Beratungsstelle Studium und Behinderung des Deutschen Studentenwerkes weiterhin „fortlaufend“ zu fördern. Über die Finanzierung gesonderter Projekte im Bereich Studium und Behinderung hinaus ist der Bund aufgefordert sicher zu stellen, dass die Belange von Studierenden mit Behinderung/chronischer Krankheit in allen Maßnahmen und Projekten des Bundes – wie z.B. bei den von Bund und Ländern gemeinsam getragenen Hochschulpakten - von Anfang an mit berücksichtigt werden.

 

Berlin, 13. Mai 2011

 

Achim Meyer auf der Heyde

Generalsekretär