27.11.2009

Internationales

Stellungnahme des Deutschen Studentenwerks zum Grünbuch der Europäischen Kommission „Die Mobilität junger Menschen zu Lernzwecken fördern“ – KOM(2009)329endg

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Vorbemerkung

Die Student Services in Europa sind ein Schlüsselfaktor für die Weiterentwicklung der sozialen Dimension im Hochschulbereich und für die internationale Mobilität der Studierenden.

 

Der Erfolg des europäischen Hochschulraums beruht auf den drei Säulen von Forschung, Lehre und Student Services. Die Bildungsminister der Bologna-Staaten haben deshalb den sozialen Charakter der Hochschulbildung im Löwen-Kommuniqué betont. Um Diversität, breiteren Hochschulzugang und stärkere Förderung unterrepräsentierter Gruppen zu erreichen seien konkrete Maßnahmen nötig: „this involves improving the learning environment, removing all barriers to study and creating the appropriate economic conditions for student to be able to benefit from the study opportunities at all levels.” Diese Haltung wird von der UNESCO bestärkt, die im Abschlusskommuniqué der Weltkonferenz für Hochschulbildung im Juli 2009 fordert: „Member states, working in collaboration with all stakeholders (…) should provide adequate student services.”

 

Das Deutsche Studentenwerk ist der Dachverband der 58 Studentenwerke in Deutschland, welche die öffentlichen Aufgaben der wirtschaftlichen, sozialen, gesundheitlichen und kulturellen Förderung der Studierenden an deutschen Hochschulen wahrnehmen. Die Studentenwerke stellen die soziale Infrastruktur an deutschen Hochschulen sicher: Sie bieten kostengünstig Wohnraum und Verpflegung für die knapp 2 Millionen Studierenden, verwalten 1.5 Mrd € BAföG-Stipendien, bieten soziale und psychologische Beratungsangebote an fast allen Standorten und fördern gezielt kulturelle und internationale Aktivitäten von und mit Studierenden.

 

Die Studentenwerke leisten somit einen wesentlichen Beitrag zur Chancengleichheit, zum Hochschulzugang und Studienerfolg für alle Studierenden. Mit zahlreichen Angeboten unterstützen die Studentenwerke die internationale Mobilität von Studierenden, sowohl was die Integration internationaler Studierender an deutschen Hochschulen, als auch die Auslandsaufenthalte deutscher Studierender angeht. Mit der Servicestelle Interkulturelle Kompetenz (zur Förderung der Integration ausländischer Studierender) und der Informations- und Beratungsstelle Studium und Behinderung (zur Förderung von Studierenden mit Behinderung oder chronischen Krankheiten) nimmt das DSW auf nationaler Ebene wichtige Koordinierungs- und Beratungsaufgaben wahr.

 

Das DSW begrüßt die Initiative der Kommission, mit Hilfe des Grünbuchs den Wissenstransfer zu fördern und die europäischen Initiativen zu ergänzen. 

 

Im Folgenden teilen wir gerne unsere Einschätzung zu den Fragen der Kommission mit. Die Empfehlungen beziehen sich auf den gesamten Hochschulbereich in der Bundesrepublik Deutschland.

 

1. Vorbereitung auf eine Phase der Mobilität

1.1. Information und Beratung

Wie kann die Verfügbarkeit von Informationen und Beratung zum Thema Mobilität verbessert werden? Teilen Sie uns bitte Beispiele bewährter Verfahren sowie entsprechende Werkzeuge und Möglichkeiten zur Verbreitung solcher Information mit.

 

Das Deutsche Studentenwerk bietet auf seiner Homepage eine besondere Informationsplattorm www.internationale-Studierende.de, die auf unterschiedliche Situationen der Studierenden fokussiert ist: Vorbereitung des Aufenthalts, Eintreffen in Deutschland, Studienaufenthalt in Deutschland sowie Beendigung des Studiums. Zugleich bietet sie Verlinkungen direkt zu den einzelnen Studentenwerken. Derartige Webseiten nationaler Dachverbände und europäischer Netzwerke sollten mit EU-Unterstützung besser koordiniert und aktualisiert werden.

 

Die Studentenwerke kommunizieren selbst über Aushänge und Printmedien, Webseiten, und Online-Portale und erreichen eine große Anzahl von Studierenden. Die schriftlichen Informationen werden durch persönliche Beratung ergänzt. Insbesondere diese motiviert zu Mobilität im Studium und sollte ausgebaut werden und neben Verfahren zur Beantragung eines studienbezogenen Auslandsaufenthalts auf dessen Sinn sowie auf die sich daraus ergebenden Chancen und Risiken (z.B. neue Lehr- und Lernformen, neue Inhalte und Kompetenzen, Studienzeitverlängerung, Finanzierung, Wohnraum etc.) hinweisen. Die Beratung sollte auch die Erfahrungen betroffener Kommilitonen einbeziehen.

 

Ferner können über moderne Informationssysteme wie Speisenleitsysteme eine große Zahl von Studierenden in den Mensen und Cafeterias erreicht werden. Als Best Practice kann hier z.B. Campus TV von Infomax www.campustv-b2b.info angesehen werden.

 

1.2. Anreize und Motivation

Wie können jungen Menschen bessere Anreize geboten werden und wie können sie besser dazu motiviert werden, eine Mobilitätsphase zu absolvieren? Welche Vorgehensweise sollte für eine größtmögliche Wirkung gewählt werden? Geben Sie bitte konkrete Beispiele bewährter Verfahren in diesem Bereich an.

Worin bestehen ihrer Ansicht nach für junge Menschen die wichtigsten Hindernisse, die sie davon abhalten, eine Auslandserfahrung zu machen?

 

Die Sonderuntersuchung „Internationalisierung des Studiums“ des DSW benennt deutliche Hürden für internationale Mobilität: Ausländische Studierende in Deutschland haben häufig große Probleme mit der Orientierung im Studiensystem, vermissen Kontakt zu deutschen Studierenden und berichten von finanziellen Schwierigkeiten (jeweils ca. 40%). Die Mobilität deutscher Studierender hängt von der sozialen Herkunft ab, die Auslandserfahrung verdoppelt sich von der unteren bis zur oberen Herkunftsgruppe. Den wichtigsten Hinderungsgrund für ein Auslandsstudium bilden finanzielle Schwierigkeiten, gefolgt von der Trennung von Partnern/Familie, möglichen Zeitverlusten, als gering angesehenem Nutzen im Studium, mangelnden Fremdsprachenkenntnissen und Anerkennungsproblemen.

 

Der EUROSTUDENT III Report nennt als wichtigste Mobilitätshindernisse ebenfalls an erster Stelle Finanzierungsschwierigkeiten (57%), gefolgt von unzureichender Unterstützung im Heimatland (49%), mangelnder Motivation (48%), unzureichender Unterstützung im Gastland (24%) und mangelnder Sprachkompetenz (23%).

 

Vor diesem Hintergrund ist es geboten, den Studierenden ihre Finanzierungssorgen zu nehmen. Als erste Maßnahme hierzu sollten die staatlichen Studienfinanzierungssysteme der Mitgliedstaaten ausgebaut und Bologna-kompatibel gemacht werden. Sie müssen den neuen Studienstrukturen gerecht werden und den Bedarf eines Studiums voll abdecken.

 

In Deutschland können förderungsberechtigte Studierende die Ausbildungsförderung für ein volles Studium an einer Hochschule in der EU und der Schweiz bzw. für die Fortsetzung ihres in Deutschland begonnenen Studiums nutzen. Die Förderungshöchstdauer entspricht der in der dortigen Studienordnung festgelegten Ausbildungsdauer.

Zusätzlich zur Inlandsförderung (bis zu 648 Euro monatlich) erhalten Studierende für ein Studium in der EU/Schweiz die nachweisbar notwendigen Studiengebühren (bis zu 4.600 Euro pro Studienjahr), Reisekosten (bis zu 500 Euro), sowie die Kosten der Krankenversicherung erstattet.

Die Portabilität der staatlichen Förderung schafft Anreize und Motivation für ein Studium im Ausland. Allerdings bleibt ein Auslandsstudium – auch innerhalb der EU/Schweiz – häufig abhängig von der sozialen Herkunft. Die Kommission sollte daher – zusätzlich zur ERASMUS-Förderung – im Rahmen eines europaweiten Stipendienmodells eine für ein Studium im EU-Ausland bedarfsgerechte und nach sozialen Komponenten ausgerichtete Förderung sicherstellen. Dies könnte über eine europäische Einrichtung für die Vergabe eigener Stipendien erfolgen, parallel könnten die jeweiligen Stipendienangebote in den Mitgliedstaaten für Auslandsstudiengänge und -semester gezielt seitens der EU ergänzt werden.

 

Studiengebühren sollten in der europäischen Union abgeschafft werden. Sie stellen eine zusätzliche finanzielle Hürde dar, vor allem für Studierende aus einkommensschwächeren Elternhäusern.

 

Für benachteiligte Gruppen wie Studierende aus niedrigen Einkommensverhältnissen, Studierende mit Migrationshintergrund oder Studierende mit Behinderungen sind besondere zusätzliche Förderprogramme erforderlich. Dies gilt sowohl für Studierende aus der Europäischen Union als auch aus Drittstaaten. Vor allem internationale Studierende aus Entwicklungs- und Schwellenländern sollten besonders gefördert werden, da ihre oft prekären Verhältnisse ihren Studienerfolg und ihre Integration beeinträchtigen. Mögliche Unterstützungsmodelle wären Stipendien, um besondere Leistungen zu würdigen, sowie Nothilfen, um in finanziellen Notlagen unbürokratisch und schnell helfen zu können. Darüber hinaus könnte ein Programm die Beschäftigung ausländischer Studierender als studentische Hilfskräfte finanzieren, dadurch ihre Kompetenz und integrative Vorbildfunktion anerkennen und sie für ihr Engagement gerecht entlohnen.

 

Generell sind als mobilitätsfördernde Faktoren bessere Verdienstmöglichkeiten, eine vereinfachte Arbeitserlaubnis sowie die Portabilität von nationalen Förderungen erforderlich, zumal studentische Erwerbstätigkeit in allen EU-Ländern zur Finanzierung des Studiums weit verbreitet ist (vgl. Eurostudent 2008, Chapter 5), jedoch während eines Auslandsaufenthalt häufig wegbricht (ebd., Table 8.14). 

 

Weitere Faktoren bilden die organisatorische Unterstützung durch die Studentenwerke und ihre internationalen Partner (Vermittlung von Kontakten, Wohnraum, Finanzierungsmöglichkeiten und konkreten Ansprechpartnern vor Ort), sie sollten möglichst europaweit ausgebaut und gefördert werden.

 

Ferner sollte die Anerkennung der im Ausland erbrachten Studienleistung möglichst schon vorab gesichert sein.

 

1.3.Sprachen und Kulturen

Wie können die sprachlichen und kulturellen Hindernisse, die der Mobilität entgegenstehen, am besten beseitigt werden? Geben Sie bitte konkrete Beispiele bewährter Verfahren an.

 

Sprachliche und kulturelle Hindernisse werden am besten durch kostenfreie interkulturell ausgerichtete praxisnahe bzw. fachsprachliche Sprachkurse und integrationsfördernde Tutorien abgebaut. Die fachliche, soziale und interkulturelle Begleitung ist nicht nur vor oder am Anfang des Auslandsaufenthalts, sondern auch studienbegleitend anzubieten. Ein Ausbau des Angebots an Sprachkursen an Hochschulen sowie die mögliche Integration von Kursen des Spracherwerbs in die Curricula sollte nicht nur von den Hochschulen, sondern auch von anderen Bildungsträgern erwogen werden.

 

1.4.Rechtliche Fragen

Auf welche wesentlichen Mobilitätshindernisse sind Sie gestoßen? Bitte liefern Sie konkrete Beispiele. Können Sie Beispiele bewährter Verfahren zur Überwindung von rechtlichen Hindernissen für die Mobilität vorweisen?

 

Insbesondere ausländerrechtliche Vorschriften behindern die Mobilität internationaler Studierender: Zum Teil werden Visa oft so spät erteilt, dass eine rechtzeitige Anreise vor Studienbeginn nicht möglich ist. Auflagen zur finanziellen Absicherung der Lebenshaltungskosten erschweren zusammen mit arbeitsrechtlichen Einschränkungen besonders Studierenden aus Drittstaaten den Aufenthalt in Deutschland und führen oft zu prekären Lebenssituationen. Als hilfreich erweisen sich in der BRD runde Tische von Akademischen Auslandsämtern, Studentenwerken, Ausländerbehörden und weiteren Akteuren.

Anträge für Visa und Aufenthaltsgenehmigungen für Studierende sollten zügig bearbeitet und deutlich schneller bewilligt werden. Die EU könnte hierzu im Rahmen der offenen Koordinierung im Bereich Inneres und Justiz klare Zielvorgaben definieren.

 

Krankenversicherungs-, Haftpflichts- und Unfallversicherungsrechtliche Schwierigkeiten für internationale Studierende aus Drittstaaten bzw. für EU-Studierende könnten entsprechend dem Modell der europäischen Krankenversicherungskarte gelöst werden.

 

Das Ziel der EU-Studentenrichtlinie: „darauf hinzuwirken, dass ganz Europa im Bereich von Studium und beruflicher Bildung weltweit Maßstäbe setzt. Die Förderung der Bereitschaft von Drittstaatsangehörigen, sich zu Studienzwecken in die Gemeinschaft zu begeben, ist ein wesentliches Element dieser Strategie.“ (Erwägungsgrund Nr. 6) könnte erheblich besser realisiert werden, wenn europäische Rechtsquellen nationale Einschränkungen ausschließen.

 

Auch wenn grundsätzlich Kenntnisse in der Ausbildungssprache für ein erfolgreiches Studi- um erforderlich sind, sollte es ausschließlich Sache der Hochschulen sein, einen entsprechenden Nachweis zu verlangen. Entsprechend sieht die EU-Studentenrichtlinie in Art. 7 Abs. 1 Buchst. c nur eine Kann-Vorschrift vor. Im Regelfall wurden Sprachkenntnisse bereits im Zulassungsverfahren gegenüber der Hochschule nachgewiesen, ein zusätzlicher Nachweis gegenüber der Ausländerbehörde ist daher nicht mehr erforderlich. Ebenso sollte der Praxis der Ausländerbehörden entgegengewirkt werden, die Aufenthaltsdauer für bestimmte Personengruppen zu verkürzen. Hier könnte die EU darauf hinwirken, dass internationale Studierenden ausreichend Planungssicherheit erhalten.

 

Ebenso sollte allen Studierenden eine die Lebens- und Studienkosten sichernde Erwerbstätigkeit im gesamten Hochschulraum der EU möglich sein.

 

1.5.Übertragbarkeit von Stipendien und Darlehen

Welche Hindernisse haben Sie bei der Übertragbarkeit von Stipendien und Darlehen und dem Zugang zu Sozialleistungen festgestellt? Bitte liefern Sie konkrete Beispiele.

 

Das staatliche Studienfinanzierungssystem BAföG steht sowohl Deutschen im Sinne des Grundgesetzes offen wie auch Unionsbürgern, die ein Recht auf Daueraufenthalt im Sinne des Freizügigkeitsgesetzes besitzen, Ehegatten und Kindern von freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgern, sowie Unionsbürgern, die vor Beginn ihrer Ausbildung in Deutschland in einem Beschäftigungsverhältnis gestanden haben, dessen Gegenstand mit dem der Ausbildung in inhaltlichem Zusammenhang steht. Die Förderung ist portabel ins Ausland. Fraglich ist dies jedoch bei Stipendien, die von den einzelnen Hochschulen akquiriert und vergeben werden.

 

Mobilitätsfördernd wirkt auch eine angemessene Vergütung von Praktika im Ausland.

 

Ausländische Studierende aus Drittstaaten, welche während ihres Studienaufenthalts in Deutschland ein Kind bekommen, sind in der Regel von Sozialleistungen wie Elterngeld, Erziehungsgeld, Kindergeld oder weiteren Leistungen nach SGB II und XII ausgeschlossen. Die Mehrheit dieser Studierenden muss ihr Studium zum Teil durch eigenen Verdienst finanzieren. Aufenthaltsrechtliche Bestimmungen erlauben nur eingeschränkt die Ausübung einer Beschäftigung bis zu insgesamt 90 oder 180 halben Tagen im Jahr, wodurch viele ausländische Studierende mit Kind in eine finanzielle Notlage geraten.

 

1.6.Mobilität in die und aus der Europäischen Union

Welche weiteren Maßnahmen sollten ergriffen werden, um die Mobilität in und aus der Europäischen Union heraus zu fördern? Wie kann dies erreicht werden? Geben Sie bitte konkrete Beispiele bewährter Verfahren an.

 

Ein Großteil der international mobilen Studierenden sind sogenannte free-mover (85% in Deutschlands und über 40% in den Eurostudent-Ländern). Diese Studierenden organisieren ihren Aufenthalt selbst, und erhalten meist wenig bis gar keine institutionelle Unterstützung. Neben dem Ausbau der Programme wie ERASMUS sollten insbesondere Maßnahmen zur Unterstützung von free-movern ergriffen werden.

Die unmittelbare Förderung von Studierenden sollte einhergehen mit einem gezielten Ausbau der Student Services, um über das Angebot preisgünstigen Wohnraums und preisgünstiger Verpflegung die Kosten für die Studierenden insgesamt zu reduzieren, ergänzt um ein die Integration förderndes Beratungs- und Kulturangebot. 

 

1.7.Vorbereitung der Mobilitätsphase und Fragen der Qualitätssicherung

Welche Maßnahmen können ergriffen werden, damit die Mobilitätsphase von hoher Qualität ist? Geben Sie bitte konkrete Beispiele bewährter Verfahren an.

 

Sinnvoll sind Studienverlaufsanalysen, die den Studienerfolg, aber auch Misserfolge der internationalen Studierenden und deren genauere Ursachen analysieren. Diese Studien sollten Handlungsempfehlungen für Planung und Umsetzung von Mobilitätsvorhaben entwickeln.

Mit europäischer Unterstützung könnte der Ausbau der Kooperation unterschiedlicher Akteure wie Hochschulen, Studentenwerke, Hochschulstädte, Ausländerbehörden etc. initiiert und gefördert werden.

Eine hohe Qualität der Mobilitätsphase bewirken einfache Antragsverfahren, niedrige Zutrittsbarrieren und insbesondere Kostentransparenz.

Diese Transparenz ermöglichen empirische Analysen der sozialen Lebenssituation von Studierenden und der Mobilitätsanreize und -hindernisse wie über EUROSTUDENT; sie sollten von der EU weiter gefördert und fortentwickelt werden.

 

1.8.Einbeziehung benachteiligter Personengruppen

Worin bestehen die größten Schwierigkeiten, auf die Sie im Hinblick auf Mobilität zu Lernzwecken von benachteiligten Gruppen gestoßen sind?

 

Für Studierende mit Behinderung und chronischer Krankheit kann es bei der Vorbereitung von Studium und Praktikum im Ausland, insbesondere bei der Studienfinanzierung sowie der Sicherung der Pflege und der medizinischen Versorgung zu Problemen kommen. Nach wie vor sind die Sozialleistungssysteme nicht ausreichend an moderne Bildungs- und Lebenswelten von Studierenden mit Behinderung und chronischer Krankheit angepasst.

Sowohl beim Inlands- als auch beim Auslandsstudium sind die Finanzierung des allgemeinen Lebensunterhalts inkl. Ausbildung einerseits und des behinderungsbedingten Mehrbedarfs andererseits getrennt zu organisieren. Im Rahmen von Auslands-BAföG und Stipendien können notwendige behinderungsbedingte Zusatzkosten nicht geltend gemacht werden. Insbesondere behinderungsbedingte Mehrbedarfe liegen in den meisten Fällen im Ermessen des Sozialhilfeträgers und dessen Prüfung, ob der Auslandsaufenthalt im „Interesse der Eingliederung des behinderten Menschen geboten ist“, sich das Studium durch den Auslandsaufenthalt nicht verlängert und keine „unvertretbaren“ Mehrkosten entstehen. Auch die medizinische Versorgung chronisch kranker Studierender im Ausland ist u.U. nicht oder nur zum Teil durch die heimische Krankenversicherung abgedeckt.

Studierende, die auf Pflege angewiesen sind, erhalten im EU-Ausland zwar weiterhin Pflegegeld, Pflegesachleistungen jedoch nur unter bestimmten Voraussetzungen und nur für maximal 6 Wochen im Jahr.

Informationen und Beratung sollten daher passgenau, qualifiziert und aus einer Hand erfol- gen, denn neben den Fragen zur Studienfinanzierung, zur Sicherung von Pflege und medizinischer Versorgung sind auch Fragen zur Zugänglichkeit und Ausstattung der Gasthochschule zu klären. Das macht die Organisation und Planung eines Auslandsaufenthaltes gerade für Studierende mit Behinderung und chronischer Krankheit besonders aufwändig, zu- mal die in der Hochschule zur Verfügung stehenden Informations- und Beratungsangebote erfahrungsgemäß nicht ausreichen, um die bei der Planung eines Auslandsaufenthalts aufgrund der Behinderung entstehenden komplexen Fragen umfassend zu klären.

 

Nennen Sie uns bitte Beispiele bewährter Verfahren, wie solche Schwierigkeiten überwunden werden können.

 

Solange Sozialleistungs- und Bildungssysteme nicht besser aufeinander abgestimmt sind, kann die Einrichtung zentraler Fonds dazu beitragen, behinderte und chronisch kranke Studierende international mobiler zu machen. Ein  gutes Beispiel dafür sind die EU-Sonderfördermittel, die für Studierende mit Behinderung des ERASMUS-Programms zur Verfügung stehen. Aus diesen Mitteln können notwendige Leistungen, für die sich sonst kein Kostenträger findet, finanziert werden. Die Bewilligung erfolgt zügig und unbürokratisch – leider bisher nur für Studierende im ERASMUS-Programm.

 

2. Auslandsaufenthalt und Follow-up

 

2.1. Mentoring und Integration

Die Aufnahmeorganisation (Bildungseinrichtung, Jugendorganisation, Unternehmen usw.) sollte Systeme wie z. B. Mentoring anbieten, um die Teilnehmer zu beraten und ihnen bei ihrer wirksamen Integration in die Gastumgebung zu helfen, und als Kontaktstelle für fortlaufende Unterstützung fungieren. Können Sie konkrete Beispiele bewährter Verfahren in diesem Bereich liefern?

 

Ziel der Hochschulen sollte neben der Steigerung der internationalen Mobilität insbesondere die Förderung der Internationalisierung in Fachbereichen und Verwaltung sein. Dies setzt ein Bewusstsein der sowie die Wertschätzung von kulturellen Unterschieden voraus und sollte sich in einem klaren Konzept zum Umgang mit kultureller Vielfalt und einer gezielten Personalentwicklung ausdrücken, die Lehrende, Beratungs- und Verwaltungspersonal durch um- fassendes interkulturelles Training auf diese Aufgabe vorbereitet und begleitet.

Ebenso sollte interkulturelles Training für Studierende fester Bestandteil der Curricula sein und mit Credit Points anerkannt werden.

 

Generell sind internationale Studierende als – evtl. zunächst eigene – Gruppe zu stärken und besser einzubinden. Auch sollten die besonderen Kompetenzen von ausländischen Studierenden wahrgenommen, anerkannt und in den Fachbereichen bzw. Wohnheimen genutzt werden.

 

Best Practice Beispiele:

Die Wohnheimtutoren- und Study Buddy-Programme der Studentenwerke sind in der Integration ausländischer Studierender sehr erfolgreich. Internationalen Studierenden stehen über 600 Wohnheimtutoren oder auch Mentoren des Studentenwerks zur Seite. Ihre Aufgaben sind von Studentenwerk zu Studentenwerk verschieden. Meist sind die Tutoren Ansprechpartner für internationale Wohnheimbewohner, zum Teil auch für alle Wohnheimbewohner oder für alle ausländischen Studierenden am Hochschulstandort. Mehr als die Hälfte der Tutoren sind selbst aus dem Ausland zum Studium nach Deutschland gekommen; ihre deutschen Kollegen haben meist bereits einen Auslandsaufenthalt hinter sich.

 

Mit ihrer Arbeit tragen die studentischen Tutoren und Mentoren zur Verbesserung der Lebensbedingungen internationaler Studierende bei, indem sie dabei helfen, dass sich internationale Studierende rasch und gut in ihrer neuen Umgebung einleben. Tutoren und Mentoren informieren und betreuen internationale Studierende, holen Studierende vom Bahnhof oder Flughafen ab, helfen bei Behördengängen und organisieren kulturelle Veranstaltungen.

 

Eine Übersicht erfolgreicher Wohnheimtutorenprogramme der Studentenwerke in Deutschland findet sich unter:

www.internationale-studierende.de/de/mytutor/tutorenprogramme_der_studentenwerke

 

2.2. Anerkennung und Anrechnung

Stellen Ihrer Erfahrung nach die Anrechnung und Anerkennung des formal und nicht formal Gelernten immer noch ein signifikantes Hindernis für die Mobilität dar? Führen Sie bitte konkrete Beispiele auf und teilen Sie uns mit, wie Ihrer Ansicht nach die Situation verbessert werden kann.

 

Ja, Anerkennungsprobleme bestehen leider fort: Ein Viertel der internationalen Studierenden in Deutschland hat mit der Anerkennung selbst des formal Gelernten Schwierigkeiten. Es steht zu vermuten, dass das nicht formal Gelernte hier noch weniger berücksichtigt wird.

 

3. Eine neue Parnerschaft für Mobilität

3.1. Mobilisierung von Akteuren und Ressourcen

 

Wie können alle Akteure und Ressourcen auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene zu Gunsten der Mobilität junger Menschen stärker mobilisiert werden? Können Sie Beispiele erfolgreicher territorialer Partnerschaften liefern? Können Sie zur Finanzierung der Mobilität junger Menschen gute Beispiele oder innovative Ideen nennen?

 

In der Koordination der Akteure und Ressourcen auf allen Ebenen sollten die Student Services auf keinen Fall fehlen. Die Studentenwerke und vergleichbare Einrichtungen stellen in Europa einen wesentlichen Beitrag zum Hochschulwesen dar, in dem sie die sozialen und wirtschaftlichen Belange der Studierenden wahrnehmen. Student Services bilden bereits jetzt erfolgreiche territoriale Partnerschaften, sowohl durch regionale Kooperationen in einem Land, als auch durch bi- und multilaterale direkte Partnerschaften mit vergleichbaren Einrichtungen im Ausland.

 

Auf europäischer Ebene ist der European Council for Student Affairs ein gutes Beispiel für die Vernetzung von Kollegen im Bereich der sozialen Dimension der Hochschulbildung.

 

Die vom DSW durchgeführten internationalen Konferenzen, Seminare, Workshops, und Austauschprogramme sind ebenfalls Best Practices für kontinuierlichen Austausch. So fand dieses Jahr das 35. Deutsch-Französische Kolloquium statt; eine eigene Webseite der deutsch-französischen Kooperation im Bereich der Studentenwerke stellt Best Practice Beispiele zur Verfügung11.

Für 2010 ist das 8. Deutsch-Polnische Kolloquium der Studentenwerke geplant, um den Wissenstransfer zwischen Kollegen herzustellen. Doch auch innerhalb des nationalen Hochschulraums setzt sich das DSW für die Zusammenführung verschiedener Akteure ein, z.B. werden zu Seminaren und Tagungen für die Studentenwerke auch Akademische Auslandsämter eingeladen, um die Zusammenarbeit zwischen ihnen zu fördern. Auch die Kooperation zwischen dem DSW und dem DAAD ist beispielhaft.

 

Die Informations- und Beratungsstelle Studium und Behinderung (IBS) des DSW hat Erfahrungsberichte von Studierenden mit Behinderung, die im Ausland einen Studienaufenthalt oder ein Praktikum absolviert haben, gesammelt und auf ihren Internetseiten veröffentlicht: www.studentenwerke.de/main/default.asp

 

Für den Wissenstransfer und die Vernetzung wichtiger Akteure ist im Bereich der Studentenwerke das Portal „Best Practice Beispiele ostdeutscher Studentenwerke“ ein gutes Beispiel.

 

3.2. Aktivere Beteiligung der Unternehmen

Wie können Unternehmen motiviert werden, sich verstärkt für die Mobilität junger Menschen zu engagieren? Geben Sie bitte konkrete Beispiele bewährter Verfahren an.

 

Unternehmen könnten verstärkt Stipendien, gekoppelt mit Betriebspraktika anbieten. Die Öffnung des innerbetrieblichen Alltags gegenüber international Studierenden ermöglicht zugleich den (Re-)Transfer interkultureller Erfahrungen in einer sich global organisierenden Arbeitswelt.

 

3.3. Virtuelle Vernetzung und eTwinning

Wie können die IKT am besten für nutzbringende Möglichkeiten der virtuellen Mobilität eingesetzt werden, um die physische Mobilität zu bereichern? Kann das eTwinning-Konzept auch in anderen Bildungsbereichen, wie z B. im Freiwilligendienst oder in der Berufsbildung, eingesetzt werden?

 

Keine Anmerkungen

 

3.4. Mobilisierung der „Multiplikatoren“

Sollten Multiplikatoren (Lehrkräfte, Ausbilder, Jugendbetreuer usw.) in den europäischen Programmen zusätzliche Unterstützung erhalten und sollte ihnen eine größere Bedeutung beigemessen werden? Welche zentralen Hindernisse stehen einem stärkeren Engagement von Lehrkräften und Ausbildern für eine Förderung der Mobilität entgegen?

 

Für Multiplikatoren sollten unbedingt zusätzliche Programme einschließlich finanzieller Mittel zur Verfügung gestellt werden. Erfolgreiche Mobilität und Integration internationaler Studierender hängt nicht zuletzt davon ab, inwieweit sich Betreuer etc. in deren Lebenswelten und (inter-)kulturellen Hintergrund hineinversetzen können.

Oft besteht großes Interesse an Mobilität, ohne dass dafür finanzielle Ressourcen zur Verfügung stehen. Für Multiplikatoren wäre Unterstützung erforderlich wie:

  • berufliche Fortbildung incl. Sprachkurse
  • Förderung von Austausch- und Kooperationsprogrammen mit Kollegen aus anderen Ländern
  • Finanzielle Unterstützung und Anschubfinanzierungen für regelmäßige internationale Aktivitäten im Bereich der Studentenwerke
  • Organisatorische und logistische Unterstützung für längerfristige Programme

3.5. Mobilitätsziele

Sind Sie der Ansicht, dass Ziele bei der Definition einer Mobilitätsstrategie helfen können, und wenn ja auf welcher Ebene (europäisch, national, institutionell, bereichsspezifisch usw.)? Geben Sie bitte konkrete Beispiele bewährter Verfahren an.

 

Konkrete Ziele sind hilfreich, um vor allem den Erfolg einer Mobilitätsstrategie zu messen. Ziele sind auf nationaler und europäischer Ebene sinnvoll, dort gibt es belastbare Daten zu Mobilität als auch entsprechende Programme und Instrumente.

Darüber hinaus könnten Ziele auf den Bereich Hochschulen angewendet werden, etwa indem Hochschulen einen bestimmten Anteil an auslandserfahrenen Studierenden anstreben. Dann kämen auch Studentenwerke ins Spiel, welche die soziale und wirtschaftliche Infrastruktur des Studiums zu Verfügung stellen. Da es in Europa verschiedene Modelle gibt, wie den Studierenden soziale Dienstleistungen zur Verfügung gestellt werden, sollten institutionen- oder branchenbezogene Ziele unter Beteiligung aller wichtigen Stakeholder gesetzt werden (Hochschulen, International Offices, Studentenwerke, Ministerien, Stiftungen, DAAD, etc). Besonderes Augenmerk sollte darauf gelegt werden, dass eine Mobilitätsstrategie nur zusammen mit einem guten Integrationskonzept sinnvoll ist.

 

Berlin, 27.11.2009

 

Achim Meyer auf der Heyde

Generalsekretär des Deutschen Studentenwerks