15.05.2018

Stellungnahme des Deutschen Studentenwerks zum "Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Marrakesch-Richtlinie"

Stellungnahme des Deutschen Studentenwerks zum "Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Marrakesch-Richtlinie über einen verbesserten Zugang zu urheberrechtlich geschützten Werken zugunsten von Menschen mit einer Seh- oder Lesebehinderung" vom 20.04.2018

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Das Deutsche Studentenwerk (DSW) ist der Verband der 58 Studentenwerke in Deutschland und nimmt satzungsgemäß sozialpolitische Belange der Studierenden in Deutschland wahr. Das DSW ist zugleich Träger der Informations- und Beratungsstelle Studium und Behinderung (IBS), die 1982 auf Empfehlung der Kultusministerkonferenz und mit Beschluss des Deutschen Bundestages eingerichtet wurde. Vor diesem Hintergrund nehmen wir im Folgenden Stellung zu dem „Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Marrakesch-Richtlinie über einen verbesserten Zugang zu urheberrechtlich geschützten Werken zugunsten von Menschen mit einer Seh- oder Lesebehinderung“ vom 20.4.2018.

Das Deutsche Studentenwerk begrüßt die Umsetzung der Richtlinie (EU) 2017/1564 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. September 2017 über bestimmte zulässige Formen der Nutzung bestimmter urheberrechtlich oder durch verwandte Schutzrechte geschützter Werke und sonstiger Schutzgegenstände zugunsten blinder, sehbehinderter oder anderweitig lesebehinderter Personen (sog. Marrakesch-Richtlinie).

Die Marrakesch-Richtlinie zielt darauf, die Verfügbarkeit von Büchern und anderem gedruckten Material für blinde, sehbehinderte oder anderweitig lesebehinderte Personen in barrierefreien Formaten zu verbessern. Damit sollen die in der UN-Behindertenrechts-konvention anerkannten Rechte von Menschen mit Behinderungen auf diskriminierungsfreien und gleichberechtigten Zugang zu Informationen und Bildung sowie auf gleichberechtigte Teilhabe am kulturellen, wirtschaftlichen und sozialen Leben besser gewährleistet werden.

Im Hochschulbereich ist der Mangel an barrierefrei zugänglichen Studienmaterialien wie z.B. Fachbüchern oder Fachaufsätzen eines der großen Probleme für blinde, sehbeeinträchtigte oder anderweitig lesebehinderte Studierende. Erst wenige Hochschulen verfügen über einen Umsetzungsdienst zur barrierefreien Aufbereitung von Studienmaterialien, so dass diese z.B. in Blindenschrift, in Großdruck oder mit Hilfsmitteln wie einem Screenreader lesbar sind[1]. Die umgesetzte Literatur ist zum Teil über den Sehgeschädigtengerechten Katalog Online (Sehkon) der Technischen Universität Dortmund verfügbar, der anbietet, alle zitierfähig umgesetzte Literatur im deutschsprachigen Raum zu verzeichnen.  

In der Datenerhebung „beeinträchtigt studieren“ (2011) gaben insgesamt zwei Prozent der Studierenden mit Beeinträchtigung an, einen Bedarf an Umsetzungsdiensten und damit an barrierefrei umgesetzter Studienliteratur zu haben. Darunter befinden sich sechs Prozent der Studierenden mit Blindheit oder Sehbeeinträchtigung, ebenso sechs Prozent der Studierenden mit einer Teilleistungsstörung (z.B. Legasthenie oder Dyskalkulie) und ein Prozent der Studierenden mit psychischen Erkrankungen. Die Studierenden gaben an, dass der Bedarf an Umsetzungsdiensten zu 65 Prozent nicht ausreichend gedeckt war.[2] Ist an der Hochschule kein Umsetzungsservice vorhanden, müssen die Studierenden die barrierefreie Aufbereitung der Studienmaterialien selbst organisieren. D.h. die Studierenden müssen fehlende Barrierefreiheit und fehlende Serviceangebote der Hochschulen durch individuellen Mehraufwand kompensieren.

Die Umsetzung der Marrakesch-Richtlinie in deutsches Recht muss also auch sicherstellen, dass sich der barrierefreie Zugang zu Büchern oder anderen gedruckten Materialien für blinde, sehbehinderte oder anderweitig lesebehinderte Studierende verbessert. Der rechtliche Rahmen muss es Hochschulen, respective Hochschulbibliotheken bzw. Umsetzungsservices an Hochschulen ermöglichen, ein bedarfsdeckendes Angebot an barrierefrei aufbereiteten Druckwerken zur Verfügung zu stellen.

Im Einzelnen:

Zu § 45b Ref-E:

Der Referentenentwurf definiert in § 45b den Kreis der begünstigten Personen. Die Norm ist auf den Behinderungsbegriff des Behindertengleichstellungsgesetzes des Bundes (§ 3 BGG) als auch des Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (§ 2 SGB IX) abzustimmen. Dabei ist zugleich sicherzustellen, dass die Norm den weit gefassten begünstigten Personenkreis der Marrakesch-Richtlinie nicht einschränkt. Es ist zu gewährleisten, dass alle Menschen mit Beeinträchtigungen, die Druckwerke nicht in gleicher Weise lesen können wie Menschen ohne Beeinträchtigungen, Zugang zu barrierefreien Formaten erhalten. Zum Kreis der im Sinne des Gesetzes zu begünstigenden Personen können blinde oder sehbeeinträchtigte Menschen ebenso gehören wie Menschen mit motorischen Einschränkungen, Wahrnehmungsstörungen, psychischen Erkrankungen, Autismus-Spektrum-Störungen, Dyslexie oder Legasthenie.

Zu § 45c Abs. 3 Ref-E

Der Referentenentwurf definiert in § 45c Abs. 3 die Rechte befugter Stellen. In der Begründung zu § 45c Abs. 3 wird darauf verwiesen, dass es sich hierbei überwiegend um Blindenbibliotheken und Blindenschulen handle. Die Bedarfe Studierender mit Behinderungen bzw. die Rolle der Hochschulen werden bisher an keiner Stelle im Referentenentwurf erwähnt. Es ist zu ergänzen, dass zu den befugten Stellen auch Hochschulen respective Hochschulbibliotheken bzw. die Umsetzungsservices an Hochschulen gehören können.

Zu § 45c Abs. 4 Ref-E

Es ist zu befürchten, dass die vorgesehene Pflicht, Nutzungen nach § 45c Abs. 1 und 2 Urheberrechtsgesetz zu vergüten, die bedarfsgerechte Bereitstellung barrierefrei zugänglicher Sprachwerke für Studierende mit Beeinträchtigungen erschwert.

Die im Hochschulbereich benötigte Studienliteratur ist bisher kaum in barrierefreien Formaten vorhanden. Die Verlage sind derzeit nicht verpflichtet, in zugänglichen Formaten zu veröffentlichen. Gegenwärtig wird die kostenaufwendige Übertragung in barrierefreie Formate von befugten Stellen in der Hochschule wie z.B. den Bibliotheken oder Umsetzungsservices übernommen. Die Arbeit der Umsetzungsstellen in der Hochschule darf nicht durch einen steigenden Verwaltungsaufwand und die geforderte Vergütung erschwert werden. Zu befürchten ist zugleich, dass die vorgesehene Vergütungsregelung der Etablierung eines flächendeckenden Netzes befugter Stellen im Hochschulbereich, das zur Realisierung des Anliegens der Richtlinie dringend erforderlich ist, entgegensteht. Für Studierende mit Beeinträchtigung ist jedoch der gleiche Zugang zu Sprachwerken wie für Studierende ohne Beeinträchtigung sicherzustellen. Das DSW würde es daher begrüßen, die vorgesehene Vergütungsregelung entweder ganz zu streichen oder zumindest so neu zu fassen, dass ein Absehen von der Vergütung aus Gründen der Verhältnismäßigkeit möglich ist.

Das Deutsche Studentenwerk bittet das Bundesministerium für Justiz, die dargestellten Positionen bei der Erstellung des Gesetzentwurfes zu berücksichtigen.

Berlin, 16. Mai 2018

Achim Meyer auf der Heyde
Generalsekretär des Deutschen Studentenwerks


[1] Barrierefreie Umsetzung von Studienmaterialien für Studierende mit Behinderungen. Eine Umfrage der IBS zu Bestand, Aufgaben und Ressourcen von Umsetzungsdiensten an Hochschulen. August 2017. www.studentenwerke.de/sites/default/files/ibs_umfrage_2017_umsetzungsdienste_hochschulen_ergebnisse.pdf

[2] Deutsches Studentenwerk (2012): beeinträchtigt studieren. Datenerhebung zur Situation Studierender mit Behinderung und chronischer Krankheit 2011, S. 138; http://best-umfrage.de/best1-endbericht/