27.05.2010

Studienfinanzierung

Stellungnahme des Deutschen Studentenwerks e.V. gemäß §27a BVerfGG in dem konkreten Normkontrollverfahren vor dem Ersten Senat des Bundesverfassungsgerichts – 1BvL1/08 – zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit von §6 Satz 1i.V.m.§§3Abs.1,2Abs.1BremStKG

Studiengebühren führen in erheblichem Maße zu einem spürbaren wirtschaftlichen Nachteil, der mitunter deutlich über 10 % des monatlichen Verfügungsrahmens liegt.

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Gliederung

I. Gegenstand der Stellungnahme

II. Ausgangspunkt

III. Verfassungsrechtliche Bedenken im Hinblick auf das BremStKG

III.1 Unzulässiger Eingriff in Art. 11 Abs. 1 GG

III.2 Unzulässiger Eingriff in Art. 12 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG

IV. Sozialverträglichkeit von Studiengebühren im Allgemeinen

V. Fazit

 

I. Gegenstand der Stellungnahme

Gemäß § 27a BVerfGG wurde das Deutsche Studentenwerk e.V. (DSW) am 24. Februar 2010 vom Bundesverfassungsgericht im Rahmen des dort anhängigen konkreten Normenkontrollverfahrens 1 BvL 1/08 aufgefordert, zu der Frage Stellung zu nehmen, ob § 6 Satz 1 des Bremischen Studienkontengesetzes vom 18. Oktober 2005 – BremStKG – (BremGBl. Seite 550) in Verbindung mit § 3 Abs. 1, § 2 Abs. 1 BremStKG gegen Art. 11 GG sowie gegen Art. 12 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG verstößt, soweit danach auswärtige Studierende – anders als Studierende mit Wohnsitz beziehungsweise Hauptwohnung in der Freien und Hansestadt Bremen – vom dritten bis zum 14. Semester zu einer Studiengebühr in Höhe von 500,00 EUR pro Semester herangezogen werden.

Die Stellungnahme des DSW konzentriert sich dabei nur auf einzelne Aspekte der verfassungsmäßigen Überprüfung beziehungsweise belegt deren Hintergründe empirisch und schließt sich im Übrigen den Auffassungen des vorlegenden Verwaltungsgerichts an.

 

Die Stellungnahme des DSW wird jedoch auftragsgemäß – über die eigentliche Frage hinaus und losgelöst vom Vorlagenbeschluss – im Hinblick auf das verfassungsrechtliche Urteil vom 26. Januar 2005 – Az. 2 BvR 1/03 – zur Sozialverträglichkeit von Studiengebühren im Allgemeinen ausgedehnt.

 

II. Ausgangspunkt

Mit Inkrafttreten des Bremischen Studienkontengesetzes sind Studierende – soweit nicht eventuelle Ausnahmetatbestände greifen – im Bundesland Bremen nach § 6 Abs. 1 BremStKG zur Abgabe von Studiengebühren in Höhe von 500,00 EUR pro Semester verpflichtet.

Gleichzeitig sieht das Gesetz jedoch sogenannte Studienguthaben vor, so dass Studiengebühren erst dann fällig werden, wenn diese Studienguthaben vollständig verbraucht sind (§ 6 Satz 1 BremStKG).

Diese Studienguthaben sind hierbei in ihrer Höhe zu differenzieren, je nachdem, wo sich der (Haupt-)Wohnsitz der Studierenden befindet. Studierende mit (Haupt-)Wohnsitz in der Freien Hansestadt Bremen werden danach gemäß § 2 Abs. 1 BremStKG für die ersten 14 Hochschulsemester faktisch von der Studiengebühr befreit, während dies nach § 3 Abs. 1 BremStKG für Studierende, deren (Haupt-)Wohnsitz sich außerhalb der Freien Hansestadt Bremen befindet, nur für zwei Semester gilt.

 

Ziel des Gesetzes ist es nach dessen Begründung auch, „[...] einen direkten oder indirekten Beitrag zur Sicherung der finanziellen Basis der von ihnen genutzten Hochschule zu leisten, indem sie entweder ihren Hauptwohnsitz am Studienort nehmen und so zur Steigerung der Einnahmen aus dem Länderfinanzausgleich beitragen oder einen finanziellen Eigenbetrag leisten“.

Seit dem 1. September 2003 wird – mit Unterbrechung vom 31. August 2006 bis 31. Dezember 2008 – in Bremen ein „Begrüßungsgeld“ in Höhe von 150,00 EUR gezahlt.

Gemäß § 14 Satz 2 BremStKG tritt das Bremische Studienkontengesetz zum Wintersemester 2010/2011, also zum 1. Oktober 2010, außer Kraft, ohne dass es einer Aufhebung bedarf.

 

Ferner hat der 2. Senat des Bundesverfassungsgerichts in der Begründung seines Urteils vom 26. Januar 2005 – Az. 2 BvR 1/03 – zur Gesetzgebungskompetenz bei der Regelung von Studiengebühren ausdrücklich darauf hingewiesen, dass das Gericht nicht über die generelle Zulässigkeit von Studiengebühren entschieden habe. Es hat sich vorbehalten, zur Frage der Sozialverträglichkeit von Studiengebühren Stellung zu nehmen, insbesondere dann, wenn sich deren Tragbarkeit als zweifelhaft erweisen sollte, weil die befürchteten Auswirkungen tatsächlich eingetreten sind.

 

III. Verfassungsrechtliche Bedenken im Hinblick auf das BremStKG

Nach Ansicht des DSW verstößt die differenzierende Behandlung Bremer Studierender nach deren (Haupt-)Wohnsitz sowohl gegen Art. 11 GG, als auch gegen Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG.

Darüber hinaus ist das DSW der Auffassung, dass in diesem Kontext auch ein Eingriff in Art. 33 Abs. 1 GG zu diskutieren wäre.

 

III.1 Unzulässiger Eingriff in Art. 11 Abs. 1 GG

In sachlicher Hinsicht schützt Art. 11 Abs. 1 GG im Sinne einer sog. negativen Freizügigkeit auch die Freiheit, einen Ortswechsel nicht vorzunehmen, also am Ort der Wahl zu verbleiben. In diese Freiheit greift § 6 Satz 1 in Verbindung mit § 3 Abs. 1 BremStKG ein, weil eine staatliche Maßnahme bereits dann als Eingriff in Art. 11 Abs. 1 GG zu qualifizieren ist, wenn ihre Zielsetzung und Wirkung einem unmittelbaren Eingriff gleichkommt.

 

Neben seiner Zielsetzung, Studierende, die außerhalb der Hansestadt Bremen wohnen, zu einem Wohnsitzwechsel in das Land Bremen zu bewegen, greift insbesondere die Wirkung der Regelung in Art. 11 Abs. 1 GG ein. De facto wird die Ortswahl der Studierenden ganz erheblich beeinflusst, da ein Verbleiben des (Haupt-)Wohnsitzes außerhalb der Hansestadt Bremen in wirtschaftlicher Hinsicht zu einem spürbaren Nachteil führt.

Wie das Bremer Verwaltungsgericht ist auch das DSW der Auffassung, dass ein solcher Nachteil an den allgemeinen wirtschaftlichen Verhältnissen der Studierenden zu messen ist.

Um diese zu ermitteln, ist die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte und von der HIS Hochschul-Informations-System GmbH durchgeführte 19. Sozi-alerhebung des DSW heranzuziehen: 

 

Seit 1951 wird die Sozialerhebung zumeist im dreijährigen Rhythmus durchgeführt. Sie ist ein mit wissenschaftlichen Methoden erstelltes, befragungsbasiertes Berichtssystem, welches das umfassendste Bild der sozialen und wirtschaftlichen Lage der Studierenden in Deutschland sowie weiterer Aspekte der Studierendensituation und des Studienverlaufs zeichnet. 

Die Ergebnisse der 19. Sozialerhebung basieren auf mehr als 16.000 Fragebögen, die im Sommersemester 2009 von Studierenden von 210 deutschen Hochschulen ausgefüllt und anschließend von der HIS Hochschul-Informations-System GmbH ausgewertet wurden.

Die Untersuchungsergebnisse bieten eine aktuelle Bestandsaufnahme zu den sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen des Studierens und ordnen diese in die längerfristige, durch eine Vielzahl von Zeitreihen dokumentierte Entwicklung studentischen Lebens in Deutschland ein. Da sich in der Entwicklung der sozialen und wirtschaftlichen Aspekte des Studiums immer auch der Wandel der gesellschaftlichen und familiären Lebensverhältnisse niederschlägt, ist die Sozialerhebung auch ein Spiegel der sozialgeschichtlichen Entwicklung in Deutschland, bezogen auf 30 % bis 40 % eines Altersjahrgangs, die ein Studium aufnehmen, und ihrer Herkunftsfamilien.

 

Nach den Ergebnissen der 19. Sozialerhebung haben Studierende in Deutschland durch-schnittlich ein monatliches Einkommen in Höhe von 812,00€ EUR. Allerdings errechnet sich dieser Wert aus einem sehr breit gefächerten finanziellen Rahmen und täuscht über den ei-gentlichen finanziellen Verfügungsrahmen hinweg. So gibt es eine sehr kleine Gruppe der Studierenden (6 %), deren Einkommen über 1.200,00 EUR liegt, während über ein Viertel der Studierenden mit weniger als 648,00 EUR im Monat auskommen muss.

Gemäß § 6 Satz 1 BremStKG betragen die Studiengebühren im Land Bremen – wie an den meisten Hochschulen der anderen Bundesländern, die ebenfalls Studiengebühren erheben – pro Semester 500,00 EUR. Umgerechnet auf jeden einzelnen Monat ergibt sich daraus eine monatliche Belastung in Höhe von 83,33 EUR. Auf eine Kommastelle gerundet, beträgt somit der prozentuale Anteil allein der Studiengebühr gemessen am durchschnittlichen finanziellen Verfügungsrahmen 10,3 %; für diejenigen 26 % der Studierenden, die mit weniger als 648,00 EUR monatlich auskommen müssen, liegt der prozentuale Anteil bei mindestens 12,9 %.

Im Hinblick darauf, dass 10,3 % – beziehungsweise für über ein Viertel der Studierenden so-gar knapp 13 % – des monatlich zur Verfügung stehenden Etats allein für Studiengebühren aufzuwenden sind, liegt für die Zeit vom dritten bis zum 14. Semester für diejenigen, deren (Haupt-)Wohnsitz sich außerhalb der Hansestadt Bremen befindet, im Vergleich zu sog. „Landeskindern“ ein spürbarer Nachteil im Sinne der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtssprechung vor.

 

III.2 Unzulässiger Eingriff in Art. 12 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG

Ebenfalls ist das DSW überzeugt, dass eine differenzierende Behandlung zwischen Studierenden, die ihren (Haupt)-Wohnsitz innerhalb der Hansestadt Bremen und solchen, die ihn außerhalb haben, eine unzulässige Ungleichbehandlung darstellt und mit dem Grundgesetz unvereinbar ist.

Soweit keiner der Ausnahmetatbestände einschlägig ist, verlangt § 6 Satz 1 BremStKG ab einem bestimmten Semester die Zahlung von Semestergebühren und gestaltet so die Stu-dienbedingungen. Es handelt sich somit um eine Berufsausübungsregel, deren Missachtung zur Exmatrikulation führt und die in die Ausbildungsfreiheit eingreift.

Auch wenn die Berufsausübung und damit die Ausbildungsfreiheit dem Grunde nach durch den Gesetzesvorbehalt des Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG beschränkt wird, so doch nur, wenn die Schranke selbst verfassungskonform ist und deren erkennbare Ziele den Grundrechtseingriff der Sache nach rechtfertigt. Dies ist aber gerade nicht der Fall.

 

Ohne auf die formelle Rechtmäßigkeit des Bremischen Studienkontengesetzes im Einzelnen einzugehen, hat das DSW jedoch – nach wie vor – Zweifel an der Gesetzgebungskompetenz auf Landesebene, gerade im Vergleich zum sog. „Numerus-clausus-Urteil“ des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 1972 (1 BvL 32/70, 1 BvL 25/71). Hinsichtlich dieser Zweifel sei jedoch auf die abschließende Stellungnahme des DSW vom 27. November 2003 im bun-desverfassungsgerichtlichen Verfahren (2 BvF 1/03) zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des Sechsten Gesetzes zur Änderung des Hochschulrahmengesetzes (6. HRGÄndG) verwiesen.

In jedem Fall müssen aber materiell-rechtlich die länderübergreifende Pflicht zur gesamtsozialstaatlich verantwortbaren Ausgestaltung sowie die Grundrechte im Allgemeinen bei der Kodifizierung von Studiengebühren berücksichtigt werden.

Dies ist aufgrund der ungleichen Behandlung der Studierenden aber gerade nicht geschehen. Das Willkürverbot des Art. 3 Abs. 1 GG verbietet es, zwischen heimischen und auswärtigen Studierenden zu differenzieren, wenn sich diese Differenzierung sachbereichsbezogen nur auf sachfremde Gründe zurückführen lässt. Auch wenn dem Gesetzgeber grundsätzlich eine Einschätzungsprärogative zusteht, muss er anhand vernünftiger beziehungsweise sonst einleuchtender Gründe rechtfertigen, warum beide Studierendengruppen – am konkreten Sachverhalt gemessen, der geregelt werden soll – jeweils als Eigenart zu betrachten sind.

 

Sachliche Gründe lassen sich jedoch weder unmittelbar aus dem Bremischen Studienkon-tengesetz, noch mittelbar aus dessen Begründung und damit dessen Sinn und Zweck herlei-ten.

 

Grundsätzlich darf niemand nur deshalb zu höheren Abgaben herangezogen werden, weil er kein Einwohner Bremens ist. Dies gilt umso mehr, wenn Art und Umfang der Inanspruchnahme öffentlicher Einrichtungen bei Einheimischen wie Auswärtigen gleich sind und auch die gleichen Kosten für die Öffentlichkeit hervorrufen.

Eine Ausnahme besteht nur, wenn – neben der reinen Einnahmenerzielung – sachliche Gründe, die sich aus dem Wesen und Zweck der Abgabe herleiten lassen, eine Differenzierung rechtfertigen. Die Regelung des § 6 Satz 1 in Verbindung mit § 3 Abs. 1 BremStKG ist jedoch durch keinen erkennbaren zulässigen Gebührenzweck (Kostendeckung, Vorteilsausgleich, begrenzte Verhaltenslenkung, ggf. soziale Zwecke) gedeckt:

 

• Kostendeckung und Vorteilsausgleich:

Sowohl eine Kostendeckung als auch ein Vorteilsausgleich sind hierbei völlig untauglich, die Ungleichbehandlung sachlich zu rechtfertigen. Beide Studierendengruppen können die öffentlichen Hochschuleinrichtungen gleichermaßen in Anspruch nehmen und Auswärtige verursachen die gleichen Kosten und genießen im Vergleich zu Einheimischen auch keine Vorteile, die es auszugleichen gilt.

 

• Verhaltenssteuerung:

Ebenfalls kommt eine Verhaltenssteuerung als zulässiger Gebührenzweck nicht Betracht. 

Nonchalant ließe sich die betreffende Regelung für Bremer Studierende auch folgendermaßen formulieren: Entweder wird der Wohnsitz im Land Bremen genommen oder (bis zu) 6.000,00 EUR gezahlt.

 

Ziel des Gesetzes ist es auch, dass Auswärtige zur Steigerung der Einnahmen aus dem Länderfinanzausgleich beitragen. Es ist jedoch kein zulässiger Sachzusammenhang zwischen den Studiengebühren einerseits und dem Länderfinanzausgleich anderseits ersichtlich.

Da nach § 9 Abs. 1 FAG ausschließlich die jeweilige Einwohnerzahl eines Bundeslandes (Wohnbevölkerung) für Ausgleichszuwendungen nach dem Länderfinanzausgleich entscheidend ist, entstünden entsprechende Mehreinnahmen auch dann, wenn jemand ohne zu studieren seinen (Haupt-)Wohnsitz in das Land Bremen verlegt; d.h. der sachliche Bezug von Ausgleichszuwendungen ist zu Studierenden mit (Haupt-)Wohnsitz im Land Bremen nicht größer, als zu Einwohnern, die gar nicht studieren. 

Prägend für die Wahl des Studienortes sind auch finanzielle Aspekte. So erfolgte die Studienortswahl bei 8 % der Studierenden ausschließlich danach, ob an dem jeweiligen Studienort Studiengebühren zu zahlen sind. Bei weiteren 18 % spielte die Nähe zur elterlichen Wohnung beziehungsweise die Möglichkeit, in der elterlichen Wohnung wohnen zu können, die entscheidende Rolle. Zum Vergleich: Nur 25 % der Studierenden suchen sich den Studienort nach der jeweiligen Fachrichtung aus.

Die Ungleichbehandlung ist auch nicht erforderlich. Die Zielsetzung eines Einwohnerzuwachses ließe sich auch durch die Einführung – oder Steigerung – weiter positiver Anreize realisieren, wäre aber für Auswärtige mit keinem Eingriff verbunden. Darüber hinaus gibt es in Bremen mit der seit dem 1. Januar 1996 zu erhebenden Zweitwohnungssteuer bereits eine sanktionierende Maßnahme, Studierende zur (Haupt-)Wohnsitznahme in Bremen zu bewegen.

 

Ferner fehlt es nach Auffassung des DSW auch an der erforderlichen Angemessenheit:

Der vom Gesetzgeber beabsichtigte Wohnsitzwechsel führt (mittelbar) zu einem Nachteil im Studiumsverlauf, der nicht zu rechtfertigen ist.

Ein Wohnungswechsel benötigt Zeit. Durchschnittlich investieren Studierende im Erststudium pro Woche etwa 36 Stunden für ihr Studium; wird ein Staatsexamen (ohne Lehramt) ange-strebt, beträgt der zeitliche Studienaufwand wöchentlich sogar 44 Stunden. Hinzu kommt bei 67 % – und damit mehr als zwei Dritteln – der Studierenden, dass sie zur Finanzierung ihres Studiums auf Einnahmen aus Nebentätigkeiten angewiesen sind und hierfür im Durchschnitt weitere acht Stunden pro Woche aufwenden; das ist etwa eine Stunde mehr als im Jahr 2006.

Im Hinblick auf diese straffe Zeitplanung kommt daher für den überwiegenden Teil der Stu-dierenden für einen Wohnungswechsel nur die Zeit innerhalb der Semesterferien in Betracht, wenn das Studium nicht in Mitleidenschaft gezogen werden soll.

Allerdings sind die Semesterferien hierfür nur bedingt geeignet, da der Wohnungswechsel spätesten in den zweiten Semesterferien erfolgen müsste. Die Studiengebühren sind gemäß § 7 BremStKG bei der jeweiligen Rückmeldung fällig, die bereits vor den (beziehungsweise zu Beginn der) Semesterferien erfolgen muss; in diesen Zeitraum fällt zudem die Phase der Prüfungen. Faktisch haben Betroffene daher nur die Möglichkeit, innerhalb der Ferien nach dem ersten Semester einen Wohnsitzwechsel vorzunehmen, wenn dieser keine negativen Auswirkungen auf den Verlauf des Studiums haben soll. Gelingt es den Betroffenen nicht, den Umzug innerhalb der ersten Semesterferien vorzunehmen, müssen sie – um der Gebüh-renpflicht zu entgehen – innerhalb der Vorlesungszeit den Wohnsitz wechseln.

Darüber hinaus sind mit einem Wohnsitzwechsel unweigerlich größere Kosten verbunden. 

Gemäß § 19 Abs. 2 Satz 2 HRG beträgt die Regelstudienzeit von Bachelor-Studiengängen mindestens sechs und höchstens acht Semester. Bei der Gebührenhöhe von 500,00 EUR pro Semester und abzüglich der zwei Semester Studienguthaben nach § 3 BremStKG betragen – gemessen an den Regelstudienzeiten – die Gesamtkosten für Auswärtige 2.000,00 EUR bis 3.000,00 EUR. 

Es stellt sich also die Frage, ob dieser Betrag den Kosten eines Wohnsitzwechsels und den damit verbundenen übrigen Aufwand in einem relevanten und somit verhaltenssteuernden Verhältnis gegenüber steht. 

Wird abermals ein spürbarer wirtschaftlicher Nachteil als Merkmal herangezogen und dieser bei zehn Prozent angesetzt, ergeben sich erhebliche Zweifel, ob die Regelung des § 6 Satz 1 in Verbindung mit § 3 Abs. 1 BremStKG überhaupt geeignet ist, das gesetzgeberische Ziel und damit den Zweck des Wohnsitzwechsels zu erreichen.

 

Ferner hat die 19. Sozialerhebung ergeben, dass nahezu ein Viertel der Studierenden im Erststudium aufgrund ihrer finanziell angespannten Situation keine andere Wahl haben, als bei ihren Eltern zu wohnen. Dieser Anteil fällt in den gebührenpflichtigen Studienorten mit 28 % sogar noch deutlicher aus. Soweit sich die elterliche Wohnung aber außerhalb der Bremer Landesgrenzen befindet, wäre es für die Studierenden nicht anderes, als wenn sie 88,00 EUR Miete für eine Unterkunft (zusätzlich) zahlen müssten, die sie eigentlich nur bewohnen, um gerade keine (oder zumindest wenig) Wohnkosten aufbringen zu müssen. Somit ist der finanzielle Gesichtpunkt zu Gunsten der elterlichen Wohnung größtenteils obsolet.

 

 

IV. Sozialverträglichkeit von Studiengebühren im Allgemeinen

Der 2. Senat des Bundesverfassungsgerichts hat in der Begründung seines Urteils vom 26. Januar 2005 – Az. 2 BvR 1/03 – die generelle Verfassungsmäßigkeit von Studiengebühren von deren Sozialverträglichkeit abhängig gemacht. Er hat betont, dass die Länder bei der Einführung von Studiengebühren die Chancengleichheit sicherzustellen haben.

Das heißt, wenn Bundesländer die Studienkosten durch die Gebührenerhebung verteuern, sind sie nach dem Verursacherprinzip auch allein für die soziale Absicherung zuständig und müssen den Belangen einkommensschwacher Bevölkerungskreise Rechnung tragen. Anderenfalls könnten sich die Zugangschancen zu den Hochschulen in einzelnen Ländern verschlechtern, weil die Studiengebühren aufgrund ihrer Höhe zu einer sozialen Selektion der Studierenden führten. 

Das Gericht bezog sich dabei auf die Ankündigung der Länder, Studiengebühren sozial verträglich über Stipendienmodelle, Befreiungsmöglichkeiten und Darlehen abzufedern und so die zusätzliche Belastung der Studierenden zu kompensieren.

 

Die Realität ist davon jedoch weit entfernt: 

• Stipendien: 

Lediglich bei drei Prozent aller Studierenden in Deutschland bilden Stipendien eine Fi-nanzierungsquelle. Im Vergleich dazu müssen aber formal 59 % der Studierenden Stu-diengebühren bezahlen. Zwar ist damit die Anzahl der Stipendien im Vergleich zum Jahr 2006 um ein Prozent gestiegen, die Höhe der einzelnen Stipendien ist jedoch durchschnittlich pro Monat von 328,00 EUR im Jahre 2006 auf 305,00 EUR derzeit gesunken. Damit reduziert sich die individuelle Förderung um etwas mehr als sieben Prozent (23,00 EUR).

Kein einziges der betreffenden Bundesländer hat für Studiengebühren ein Stipendienprogramm aufgelegt – weder direkt bei der Einführung der Studiengebühren, noch im bisherigen Zeitverlauf. Zwar gibt es in Nordrhein-Westfalen ein Stipendienprogramm, je-doch hat dieses erst gar nicht zum Ziel, die dortigen Studiengebühren sozial abzufedern. Selbiges gilt für den vom Bundeskabinett auf den Weg gebrachten Entwurf eines Geset-zes zur Schaffung eines nationalen Stipendienprogramms (Stipendienprogramm-Gesetz – StipG). Dieses nationale Stipendienprogramm wäre dazu auch untauglich. Nach dem Bundesverfassungsgericht ist die soziale Abfederung bei der Einführung von Studienge-bühren alleinige Aufgabe der Bundesländer und nicht des Bundes (Kooperationsverbot) in Verbindung mit privaten Förderern; diese Abfederung darf auch nicht erst im Nachgang erfolgen.

 

• Darlehen:

Lediglich Studiengebührenkredite sind eingeführt worden, die von insgesamt 11 % der Gebührenzahler genutzt werden. Allerdings sind deren Zinssätze überhöht. Im Hinblick auf Art. 13 des Internationalen Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte vom 19. Dezember 1966 (IPwirtR) sind Studienbeitragsdarlehen nur dann geeignet, die vom höherrangigen Recht gebotene Sozialverträglichkeit herzustellen, wenn sie lediglich in Höhe der Inflationsrate verzinst werden. Liegen die Zinsen höher, werden finanzschwache Studierende gegenüber „Sofortzahlern“ in ungerechtfertigter Weise benachteiligt. 

 

• Gebührenbefreiung:

Es zeigt sich sowohl insgesamt als auch differenziert nach Hochschulart, dass die Befreiung von Studiengebühren keine Maßnahme ist, die einen sozialen Ausgleich bewirkt. Im Gegenteil: Von den Regelungen zur Gebührenbefreiung profitieren Studierende aus sozial höheren Herkunftsgruppen tendenziell häufiger als solche aus hochschulfernen Milieus. Das liegt insbesondere daran, dass die Befreiungen entweder leistungsbezogen sind oder es sich um eine sog. „Geschwisterfreiung“ handelt. Es werden jedoch Studierende aus hochschulnahen Familien eher als begabt gefördert, genauso wie eher aus hochschulnahen Familien alle Geschwister studieren.

 

Studiengebühren belasten die Studierenden unterschiedlich, und zwar je nachdem, aus wel-cher sozialen Schicht sie kommen. Studierende aus der niedrigen sozialen Herkunftsgruppe – also aus tendenziell hochschulfernen, einkommensschwachen Familien – sind in einem wesentlich größeren Maße auf eine Nebentätigkeit zur Studiumsfinanzierung angewiesen, als diejenigen aus hochschulnahen und einkommensstarken Haushalten.

Von den gebührenzahlenden Studierenden geben 44 % an, dass sie einer studiumsbegleitenden Tätigkeit nachgehen müssen, um die Gebühren bezahlen zu können. Im Mittel investieren sie vier Stunden mehr in Nebentätigkeiten als Studierende, die den eigenen Verdienst nicht zur Finanzierung der Studiengebühren einsetzen. Auffallend ist, dass – verglichen mit dem Jahre 2006 – der Erwerbsaufwand der Studierenden in den Gebührenländern nur bei denjenigen gestiegen ist, die die allgemeinen Studiengebühren auch tatsächlich – und selbst – bezahlen müssen. 

Darüber hinaus wird der Zweck, von denjenigen, die von einer Hochschuleinrichtung profitieren, einen finanziellen Ausgleich zu verlangen, verfehlt. Das Ergebnis der 19. Sozialerhebung führt nämlich zu Tage, dass in aller Regel nicht die Studierenden, sondern deren Eltern die Gebührenlast tragen. 

Das soziale Gefälle zeigt sich auch darin, dass die Studierenden, deren Eltern allein für die Studiengebühren aufkommen, mit 49 % abermals überdurchschnittlich häufig zur sozialen Herkunftsgruppe „hoch“ angehören, während überdurchschnittlich viele Studierende (28 %) aus der sozialen Herkunftsgruppe „niedrig“ zur Gebührenfinanzierung einen entsprechenden Kredit aufnehmen.

 

Auch in subjektiver Hinsicht lassen sich die aus den Studiengebühren ergebenden Auswirkungen ablesen: Lediglich 63 % der Studierenden gehen überhaupt nur von einer gesicherten finanziellen Situation aus. Es ist naheliegend, dass es – zumindest bei den anderen 37 % – die Wahl des (Haupt-)Wohnortes massiv beeinflusst, wenn dadurch ein derart großer Kostenfaktor eingespart werden kann.

Fast ein Viertel der Gebührenzahler lebt in einer finanziell angespannten Situation: Die Studiengebühren sind ein Kostenfaktor, auf den mit kostensparenden Maßnahmen oder einer Erhöhung der Nebentätigkeit reagiert werden muss.

Zwar sind Veränderungen im Sozialgefüge der Studierenden oder „Wanderungsbewegungen“ in gebührenfreie Länder aufgrund der Studiengebühren kaum signifikant. Das liegt in erster Linie jedoch daran, dass diejenigen, die zum Kreise derer gehören, die grundsätzlich wegen der Gebührenerhebung auf gebührenfreie Länder ausweichen würden, sich einen Wohnungsumzug kaum leisten können. Die „Gebührenflucht“ betrifft in erster Linie finanziell Schwächere, die bei ihren Eltern wohnen. Bei einem Umzug gäben sie jedoch den finanziellen Vorteil auf. Ferner ist der Umzug an sich mit Kosten verbunden (s.o.).

Die finanziellen Aspekte der Studienfinanzierung sind auch bei der Entscheidung, ob überhaupt ein Studium aufgenommen wird, von großer Bedeutung: 76 % derer, die zwar eine Hochschulzugangsberechtigung haben, jedoch nicht studieren, geben an, dass Studiengebühren ihre finanziellen Möglichkeiten übersteigen und einen Grund für den Studienverzicht sind.

Differenziert nach sozialer Herkunft wird deutlich, dass Studierende aus der sozialen Her-kunftsgruppe „niedrig“ weitaus häufiger finanzielle Motive für einen Hochschulwechsel ange-ben als Studierende höherer sozialer Herkunftsgruppen.

 

V. Fazit

Sind Studiengebühren zu zahlen, so belegten die empirischen Erhebungen des DSW, dass diese in erheblichem Maße zu einem spürbaren wirtschaftlichen Nachteil führen, der mitunter deutlich über 10 % des monatlichen Verfügungsrahmens liegt.

Soweit sich die betreffenden Regelungen in ihrer Zielsetzung auf den Länderfinanzausgleich beziehen, sind sie zur Verhaltensteuerung untauglich.

Die differenzierte Behandlung der Studierenden nach dem Wohnort ist willkürlich, weil es keinen sachlichen Grund gibt, beide Studierendengruppen jeweils als Eigenart zu betrachten. Darüber hinaus ist die Benachteiligung Auswärtiger unangemessen.

 

Ferner belegt das DSW, dass die vom Bundesverfassungsgericht geforderte Sozialverträglichkeit von Studiengebühren nicht gegeben ist.

Kein einziges Bundesland hat – entgegen den Ankündigungen im Verfahren zur sechsten HRG-Novelle – sein Versprechen erfüllt, Stipendien einzuführen, um die Gebührenbelastung sozialverträglich abzufedern.

 

Berlin, 28. Mai 2010

 

Achim Meyer auf der Heyde

Generalsekretär des Deutschen Studentenwerks