09.07.2009

Hochschulpolitik

Stellungnahme des Deutschen Studentenwerks (DSW) zu den vom Bundesministerium der Justiz mit Datum vom 19. Februar 2009 versand- ten Prüfbitten zur Prüfung weiteren gesetzgeberischen Handlungsbedarfs im Bereich des Urheberrechts

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Einleitung

Das Deutsche Studentenwerk (DSW) ist der Dachverband der 58 Studentenwerke in Deutschland und nimmt satzungsgemäß sozialpolitische Belange der Studierenden der Hochschulen wahr. Vor diesem Hintergrund nimmt das DSW im Folgenden zu ausgewählten Fragen des Deutschen Bundestages und des Bundesrates in Bezug auf den gesetzgeberischen Handlungsbedarf im Bereich des Urheberrechts Stellung, soweit dies die Interessen der Studierenden der Hochschulen betrifft.

 

Bei der Verabschiedung des „Zweiten Korbes“ zum Urheberrecht haben sowohl der Deutsche Bundestag als auch der Bundesrat es für notwendig gehalten, zeitnah eine Evaluierung dieses „Zweiten Korbes“ durchzuführen. Das Deutsche Studentenwerk hat dies begrüßt. Diese Festlegung ist u.a. deshalb getroffen worden, da es in dem damaligen Gesetzgebungsverfahren verbreitete Zweifel daran gab, ob das Gesetz in der beschlossenen Fassung in ausreichendem Maße den Interessen von Bildung und Wissenschaft genügt. Aus der Sicht des DSW war und ist dies auch aus heutiger Sicht nicht der Fall: die Regelungen des deutschen Urheberrechts sind an vielen Stellen viel zu unklar formuliert und entsprechen zu wenig den praktischen Bedürfnissen einer modernen Informations- und Wissensgesellschaft. Ziel des Urheberrechts muss es sein, die zentrale Bedeutung von Bildung und Wissenschaft bei der Abwägung der beteiligten Interessen angemessen zu berücksichtigen. Für die Studierenden bedeutet dies konkret, dass Publikationen bzw. Kopien hiervon möglichst einfach, schnell, in angemessener Form und kostengünstig verfügbar sein müssen. Dies ist für ein erfolgreiches Studium unter den gegebenen - regelmäßig finanziell stark eingeschränkten - Rahmenbedingungen unabdingbar. Dies gilt für die gesamte Gruppe der Studierenden und insbesondere für Studierende mit Kind und Studierende mit Behinderung/chronischer Krankheit. Deren Mobilität und Zeitsouveränität sowie ihre finanziellen Möglichkeiten sind aufgrund ihrer besonderen Lebenslagen häufig überproportional eingeschränkt. Sie sind ganz besonders darauf angewiesen, zu jeder Zeit von jedem Ort - insbesondere vom heimischen Computer aus - in einer für sie nutzbaren Form kostenlos bzw. kostengünstig auf die notwendige wissenschaftliche Literatur zugreifen zu können, um den vorgeschriebenen Studien-Workload einzuhalten. Um die gleichberechtigten Teilhabechancen aller Studierenden zu sichern, müssen die notwendigen rechtlichen Rahmenbedingungen geschaffen werden.

 

Die derzeitige Rechtslage ist aus der Sicht des Deutschen Studentenwerks deutlich verbesserungsbedürftig. Es ist nicht hinnehmbar, wenn beispielsweise Hochschuldozenten, welche Kopien für ihre Studierenden anfertigen wollen, wegen einer verwirrenden Rechtslage hierzu den Justitiar der Hochschule befragen müssen oder wenn Bibliothekare aufgrund der neuen Gesetzeslage so verunsichert sind, dass sie - entgegen früherer Praxis - keine Aufsatzkopien mehr per E-Mail versenden.

 

Zu den Themen und Fragen im Einzelnen

 

1. Begrenzung der Privatkopie auf Kopien nur vom Original und des Verbots der Herstellung einer Kopie durch Dritte

(Prüfbitte des Deutschen Bundestages unter A.I. des Prüfbittenkatalogs)

Nach der derzeit geltenden Vorschrift des § 53 Abs. 1 Urheberrechtsgesetz (UrhG) ist es u.a. zulässig, einzelne Vervielfältigungen eines Werkes zum privaten Gebrauch vorzunehmen. Überlegungen, die zulässige Vervielfältigung auf Kopien vom Original zu beschränken, hält das DSW keinesfalls für sinnvoll. Bereits in der Praxis der Bibliotheken ist die Arbeit mit Sicherheitskopien insbesondere im digitalen Bereich weit verbreitet. Ähnlich ist die Situation bei den Studierenden selbst: teilweise ist es ihnen aufgrund der geringen Zahl der vorgehaltenen Werke in den Bibliotheken nur möglich, Kopien von Kopien der Kommiliton/innen zu erstellen. Das Deutsche Studentenwerk spricht sich vor diesem Hintergrund klar gegen eine Beschränkung der zulässigen Privatkopien aus.

 

2. Zweitverwertungsrecht für Urheber von wissenschaftlichen Beiträgen, die überwiegend im Rahmen einer mit öffentlichen Mitteln finanzierten Lehr- und Forschungstätigkeit entstanden sind (§ 38 UrhG)
(Prüfbitte des Deutschen Bundestages unter A.III. des Prüfbittenkatalogs)

 

Der Bundesrat hatte in seiner Stellungnahme zum Regierungsentwurf des Zweiten Korbes (BR-Drs. 257/06) einen Vorschlag zur Regelung eines Zweitverwertungsrechtes unterbreitet. Danach soll der Urheber an wissenschaftlichen Beiträgen, die im Rahmen einer überwiegend mit öffentlichen Mitteln finanzierten Lehr- und Forschungstätigkeit entstanden sind und in Periodika erscheinen, auch bei Einräumung eines ausschließlichen Nutzungsrechts das Recht haben, den Inhalt anderweitig öffentlich zugänglich zu machen, soweit dies zur Verfolgung nicht kommerzieller Zwecke gerechtfertigt ist. Eine solche Regelung könnte aus Sicht des DSW durchaus zu Verbesserungen führen. Es könnte dadurch erleichtert werden, dass Dozent/innen über die Erstveröffentlichung hinaus ihr Werk verwerten und es damit u.a. einem noch größeren Kreis von Studierenden zugänglich machen. Ein öffentliches Interesse hieran besteht auch deshalb, da die Finanzierung der Tätigkeit über öffentliche Mittel erfolgt ist.

 

3. Wie kann den Besonderheiten von Open Access- und Open Sourceverwertungsmodellen Rechnung getragen werden?

(Prüfbitte des Bundesrates unter B.I. des Prüfbittenkatalogs)

 

Das Deutsche Studentenwerk hält den freien, kostenlosen Zugang zu wissenschaftlicher Literatur bzw. entsprechender Software für eine der wesentlichen Arbeitsgrundlagen im heutigen und insbesondere zukünftigen Bildungs- und Wissenschaftsbereich. Das Deutsche Studentenwerk begrüßt deshalb die immer weitergehende Verbreitung von Open Access bzw. Open Source. Dies gilt unabhängig davon, ob dies auf Grundlage zusätzlicher gesetzlicher Regelungen oder über vertragliche Absprachen zwischen Urheber und Verwerter ermöglicht wird. Eine weitergehende Nutzbarmachung der Informationen für Studierende könnte etwa für die in der Literatur vorgeschlagene Lösung sprechen, wonach ein an der Hoch- schule beschäftigter Urheber verpflichtet sein soll, ein im Rahmen seiner Lehr- und Forschungstätigkeit entstandenes Werk (auch) der Hochschule zur Veröffentlichung anzubieten.

 

4. Wiedergabe von Werken an elektronischen Leseplätzen in öffentlichen Bibliotheken, Museen und Archiven, § 52b UrhG – Erweiterung des Anwendungsbereichs auf sonstige Bildungseinrichtungen

(Prüfbitte des Bundesrates unter B.II des Prüfbittenkatalogs)

 

Der derzeit geltende § 52b UrhG ermöglicht es u.a. öffentlichen Bibliotheken, Werke aus ihrem Bestand zur Forschung und für private Studien an elektronischen Leseplätzen in den eigenen Räumen zugänglich zu machen. Das Deutsche Studentenwerk teilt die Auffassung des Bundesrates, dass die Wiedergabe von Werken insgesamt in Bildungseinrichtungen ermöglicht werden soll, damit die modernen Nutzungsmöglichkeiten den dortigen Nutzer/innen nicht verwehrt werden. Die Vorschrift sieht außerdem in der derzeitigen Fassung vor, dass grundsätzlich nicht mehr Exemplare eines Werkes an den Leseplätzen gleichzeitig zugänglich gemacht werden, als der Bestand der Einrichtung umfasst. Eine solche Beschränkung war in die ursprüngliche Fassung des § 52b UrhG im Gesetzentwurf des „Zweiten Korbs“ bewusst nicht aufgenommen worden, da es unnötig erscheint, die Bibliotheken zum Kauf von Mehrfachexemplaren zu zwingen, wenn die Digitalisierung eines Werkes möglich ist. Die im Gesetzestext enthaltene Einschränkung, dass die Werke an Leseplätzen „ausschließlich in den Räumen der jeweiligen Einrichtung“ zugänglich gemacht werden dürfen, belastet im Übrigen insbesondere Studierende mit Kind und Studierende mit Behinderung/chronischer Krankheit. Das Deutsche Studentenwerk ist nach wie vor der Ansicht, dass die genannten gesetzlichen Einschränkungen gelockert werden sollten, um eine bessere Verfügbarkeit der Publikationen für Studierende zu erreichen.

 

5. Keine  Begrenzung  des  elektronischen  Kopienversands  durch  Bibliotheken

(Prüfbitte des Bundesrates unter B.III des Prüfbittenkatalogs)

 

Nach der derzeit geltenden Regelung des § 53a UrhG ist der elektronische Kopienversand durch Bibliotheken nur zulässig, soweit die Wissenschaftsverlage die Beiträge nicht offen- sichtlich selbst zu angemessenen Bedingungen online anbieten. Diese Einschränkung führt in der Praxis zu großer Verunsicherung. Für die Bibliothekar/innen ist es teilweise nur schwer ersichtlich, ob ein solches Angebot der Verlage besteht. Die gesetzliche Regelung führt des- halb vielfach dazu, dass angeforderte Beiträge nur per Fax versandt werden. Studierende erhalten die betreffenden Beiträge damit oftmals deutlich später als vor der Gesetzesänderung, in einer teilweise unzureichenden optischen Qualität und nicht in barrierefreier Form. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass in den letzten Jahren die entsprechenden Bestell- zahlen teilweise erheblich zurückgegangen sind, wie aus Kreisen der Hochschulbibliotheken zu vernehmen ist. Die Nachteile spüren insbesondere Studierende an entlegenen Hochschulen, im Fernstudium sowie Studierende mit Kind und Studierende mit Behinderung/chronischer Krankheit. Das kann nicht Ziel eines Gesetzes sein, welches den Anforderungen einer modernen Informations- und Wissensgesellschaft gerecht werden will. Neben den Interessen von Verlagen und Bibliotheken muss die zentrale Bedeutung von Bildung und Forschung in der modernen Informationsgesellschaft bei der Abwägung der beteiligten Interessen angemessen berücksichtigt werden. Das Deutsche Studentenwerk teilt die Auffassung des Bundesrates, wonach der Kopienversand auf Bestellung durch Bibliotheken unbe- grenzt möglich sein soll. Unabhängig davon, in welchem Umfang inzwischen privatrechtliche Lizenzverträge mit Verlagen für den digitalen Kopienversand geschlossen wurden: die dar- gestellten Einschränkung sollten im Gesetz gestrichen werden.

 

6. Entfristung des § 52a UrhG

Nach der Regelung des § 52a UrhG ist es zulässig, kleine Teile eines Werkes, Werke geringen Umfangs sowie einzelne Beiträge aus Zeitungen oder Zeitschriften zur Veranschaulichung an Schulen, Hochschulen und weiteren Einrichtungen einem bestimmt abgegrenzten Kreis von Personen für Unterrichtszwecke öffentlich zugänglich zu machen, d.h. in Intranets einzustellen. Für die öffentliche Zugänglichmachung ist eine angemessene Vergütung zu zahlen. Um Befürchtungen der wissenschaftlichen Verleger vor unzumutbaren Beeinträchtigungen Rechnung zu tragen, war diese erst 2003 in das Urheberrechtsgesetz eingefügte Regelung zunächst bis zum 31. Dezember 2006 befristet worden. Die Befristung wurde in- zwischen bis zum 31. Dezember 2012 verlängert. Das DSW fordert dazu auf, die Regelung zu entfristen und damit die in diesem Bereich notwendige Rechtssicherheit zu schaffen. Die Vorschrift bildet die Grundlage für online-gestütztes Arbeiten an Hochschulen. Ohne die Vorschrift würden die Hochschulen faktisch zur reinen Hörsaal-Lehre zurückkehren müssen. Weiten Kreisen von mobilitätseingeschränkten Studierenden, denen in den vergangenen Jahren mit großem finanziellen Aufwand auch des Bundes der Zugang zum Studium ermöglicht wurde, würde die Möglichkeit zum Studium dadurch wieder genommen.

 

7. Erweiterung des Geltungsbereichs des § 53 Abs. 3 Nr. 1 UrhG auf Hochschulen

Die Vorschrift des § 53 Abs. 3 UrhG erlaubt das Vervielfältigen von kleinen Teilen eines Werkes, von Werken von geringem Umfang oder von einzelnen Beiträgen, die in Zeitungen oder Zeitschriften erschienen oder öffentlich zugänglich gemacht worden sind, u.a. zur Veranschaulichung des Unterrichts in Schulen. Nicht erfasst sind jedoch Unterrichtskopien an Hochschulen. Diese Differenzierung ist nicht nachvollziehbar. Der Informationsbedarf der Studierenden an Hochschulen ist nicht geringer als der von Schüler/innen an Schulen. Die derzeitige Regelung führt in der Praxis zu einer unnötigen Rechtsunklarheit und Verunsicherung der Beteiligten. Das Deutsche Studentenwerk schlägt vor, den Anwendungsbereich des § 53 Abs. 3 Nr. 1 UrhG entsprechend auf Hochschulen auszudehnen.

 

Das Deutsche Studentenwerk bittet das Bundesministerium der Justiz, die dargestellten Positionen bei der Erstellung des Referentenentwurfs zu berücksichtigen.

 

Berlin, 10. Juli 2009

 

Achim Meyer auf der Heyde

Generalsekretär des Deutschen Studentenwerks