16.05.2022

Studienfinanzierung

Stellungnahme des Deutschen Studentenwerks (DSW)

zur Sachverständigenanhörung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung am 18.5.2022 zum Entwurf eines Siebenundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (27. BAföGÄndG)

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Reformbedarf

Das Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) ist aus Sicht des Deutschen Studentenwerks (DSW) ein hervorragendes Instrument, um Chancengleichheit im Bildungssystem zu fördern. Es bietet einen Rechtsanspruch und hat seit seiner Einführung vor mehr als 50 Jahren mittlerweile Millionen jungen Menschen ein Studium ermöglicht.

Dennoch ist das BAföG in den vergangenen Jahrzehnten nicht ausreichend gepflegt worden. Zahlreiche Nullrunden bei Bedarfssätzen und Freibeträgen (zwischen 2010 und 2016 gab es nicht eine BAföG-Erhöhung) sowie eine mangelnde Anpassung an veränderte Lebens- und Studienwirklichkeiten haben dieses Instrument der staatlichen Studienförderung geschwächt. 

Der Reformstau beim BAföG lässt sich exemplarisch anhand folgender Entwicklungen feststellen:

  • Das BAföG erreicht immer weniger Studierende: Nur noch 11,3 Prozent aller Studierenden bekommen BAföG. Damit schafft es das BAföG nicht mehr – wie bisher als Ziel formuliert – auch Studierende aus Familien mit mittleren Einkommen zu erreichen. Auch bei der Bearbeitung der Online-Zuschuss-Überbrückungshilfe der Bundesregierung für Studierende in pandemiebedingter Notlage mussten die Studenten- und Studierendenwerke viele Anträge ablehnen, obwohl die Betroffenen einen niedrigen Kontostand hatten – weil sie schon vor der Pandemie arm waren. Ein deutlicher Hinweis darauf, dass das BAföG seine Zielgruppe nicht mehr ausreichend erreicht.
  • Eine BAföG-Trendwende ist bisher ausgeblieben: Es war bereits das Ziel der vorhergehenden Bundesregierung, eine Trendwende beim BAföG hin zu mehr Geförderten zu erreichen. Dieses Ziel wurde leider verfehlt. Zwar verlangsamte sich im Jahr 2020 der Rückgang der Zahl der BAföG-Geförderten, unter dem Strich war dennoch ein Minus zu verzeichnen.
  • Das BAföG passt nicht mehr zu veränderten Lebens- und Studienwirklichkeiten: Schon vor einer Einkommensprüfung erfüllen – laut 22. BAföG-Bericht der Bundesregierung aus dem Dezember 2021[1] – mittlerweile 40 Prozent der Studierenden nicht mehr die Voraussetzungen, um BAföG zu beziehen. Sie haben zum Beispiel den falschen Pass, sind zu alt oder überschreiten die Regelstudienzeit. Auch deshalb sind strukturelle Eingriffe beim BAföG notwendig.
  • Das Bundesverwaltungsgericht hat betont, dass die BAföG-Bedarfssätze auch 2021 nicht ausreichend bemessen seien.[2]
  • Das BAföG-Verfahren ist nicht durchgehend digitalisiert: Die bei der BAföG-Antragstellung begonnene, bundesweite Digitalisierung muss nun unbedingt auch den ganzen Prozess umfassen, einschließlich des BAföG-Bescheids und der BAföG-Akte. Derzeit müssen nämlich die Studierendenwerke die online eingereichten Anträge ausdrucken und jeweils eine eigene Papierakte anlegen. Das führt das Ziel der Digitalisierung ad absurdum. Der Verwaltungsaufwand in den BAföG-Ämtern ist enorm hoch; die Ämter müssen mehr Ressourcen bekommen.

Das DSW unterstützt ausdrücklich das Ziel der Bundesregierung, eine Trendwende hin zu mehr BAföG-Geförderten zu schaffen. Damit dieses Vorhaben wirklich gelingt, muss das BAföG finanziell gestärkt, strukturell modernisiert, digitaler und einfacher werden. Die vorliegende 27. BAföG-Novelle sollte deshalb der Auftakt zu einer umfassenden Reform sein, die rasch folgen muss.

Gute Entscheidung, eine schnelle Novelle vorzuziehen

Im Koalitionsvertrag skizzieren die Regierungsparteien umfassende Reformvorhaben beim BAföG. Hierbei soll ein Garantiebetrag (Kindergrundsicherung) direkt an erwachsene Auszubildende und damit auch an Studierende ausgezahlt werden. Die Umsetzung dieses Vorhabens ist nicht trivial. Die Bundesregierung hat deshalb für Ende 2023 ein Konzept für die Kindergrundsicherung avisiert.[3]

Es ist aber wichtig, dass bis dahin sowohl eine Anpassung der Bedarfssätze und Freibeträge, aber auch erste strukturelle Reformen nicht warten können. Deshalb begrüßt das Deutsche Studentenwerk, dass die Bundesregierung zunächst eine schnelle Novelle vorgelegt hat, um damit auch zu dokumentieren, dass ihr die Veränderung der BAföG-Entwicklung wichtig ist, ein schnelles Zeichen für einen Aufbruch gegeben wird.[4] Zudem werden so auch den BAföG-Bezieher/innen nicht auch neuerliche Nullrunden zugemutet.

Das Deutsche Studentenwerk sieht zudem die Notwendigkeit, dass

  • die weiteren strukturellen BAföG-Reformen zeitnah folgen,
  • es in dieser Legislaturperiode nicht bei den einmaligen Anhebungen der Bedarfssätze und Freibeträge der 27. Novelle bleibt, sondern dass das BAföG regelmäßig an veränderte Preise und Einkommen angepasst wird. Dazu zählt auch ein Inflationsausgleich in 2023 sowie die Anpassung an die Einkommens- und Preisentwicklung, wie sie die Bundesregierung im 23. BAföG-Bericht 2023 feststellen wird sowie
  • im August 2022 eine breite Informationskampagne zum BAföG startet.

Das Deutsche Studentenwerk bedauert, dass nicht weitere strukturelle Vorhaben (Einführung der Studienstarthilfe, Anhebung der Förderhöchstdauer, Streichung des Leistungsnachweises nach dem vierten Semester, Klarstellung des Behinderungsbegriffs etc.) bereits mit der 27. BAföG-Novelle angegangen werden, obwohl sie zum Teil bereits im Koalitionsvertrag angekündigt wurden und nichts gegen eine frühere Umsetzung gesprochen hätte.

Das Deutsche Studentenwerk begrüßt grundsätzlich die von der Bundesregierung jenseits der 27. BAföG-Novelle auf den Weg gebrachten BAföG-Veränderungen

  • der Öffnung des BAföG für aus der Ukraine geflüchtete Studierende über einen neuen § 61 BAföG[5],
  • die Einführung eines Notfallmechanismus im BAföG über einen neuem § 59 BAföG im Rahmen einer 28. BAföG-Novelle[6] sowie die
  • Anhebung der max. Studiengebührenerstattung von 4.800 auf 5.800 Euro p.a. in der BAföG-AuslandszuschlagsV[7]

sowie die Entlastungen, an der auch Studierende partizipieren.

 

Zu der 27. BAföG-Novelle im Einzelnen:

a) Anhebung der BAföG-Freibeträge um 20 Prozent

Das Deutsche Studentenwerk begrüßt insbesondere die kräftige Anhebung der (Eltern)Freibeträge um 20 Prozent. Dies ist ein wichtiger Schritt der einen Beitrag dazu leisten kann, dass der Kreis der Förderberechtigen erweitert wird.

b) Anhebung der BAföG-Bedarfssätze um 5 Prozent

Die Anhebung der BAföG-Bedarfssätze um 5 Prozent wäre grundsätzlich zu begrüßen, aktuell gleicht er jedoch noch nicht einmal den durch die Inflation entstandenen Kaufkraftverlust aus.

Verbraucherpreisentwicklung lt. StBA[8]

Monat

Entwicklung ggü. Vorjahr

November 2021

5,2 %

Dezember 2021

5,3 %

Januar 2022

4,9 %

Februar 2022*

5,1 %

März 2022

7,3 %

April 2022

7,4 %

*Ab 24.2.2022 Russischer Angriffskrieg gegen die Ukraine, danach erneuter extremer Anstieg insbesondere die Energiekosten.

Chefvolkswirte von Banken und Wirtschaftsweise schließen zweistellige Inflationsraten für das Jahr 2022 nicht mehr aus. Familien mit niedrigem Einkommen trifft die Inflation besonders hart. Sie müssen 7,9 Prozent mehr für Waren des Grundbedarfs bezahlen.[9]

Die Entlastungspakete der Bundesregierung fokussieren sich auf Rabatte/Einmalzahlungen für weitgehend fossile Kraftstoffe, nicht jedoch auf mindestens ähnlich steigende Lebensmittelpreise[10] (z.B. Tomaten, Nudeln, Speiseöl, Butter, Weizenmehl, Milchprodukte).

Auch die Anhebung des BAföG-Unterkunftsbedarfs von 325 auf 360 €/mtl. erreicht noch nicht einmal die seit Jahresbeginn 2020 den Orientierungswert der Düsseldorfer Tabelle in Höhe von 375 €/mtl.[11] Wegen der steigenden Mieten ist mit einer Anhebung in der Düsseldorfer Tabelle ab Jahresbeginn 2023 – bereits etwa drei Monate nach der BAföG-Anhebung – zu rechnen.

Deshalb sollte das Parlament auf eine deutlich kräftigere Anhebung der Bedarfssätze drängen.

c) Anhebung von BAföG-Altersgrenze und Vermögensfreibetrag

Die Anhebung der BAföG-Altersgrenze und die Anhebung des Vermögensfreibetrags Auszubildender auf 45.000 Euro sind inhaltlich in einem Zusammenhang zu sehen. Das DSW begrüßt die Anhebung der Altersgrenzen ausdrücklich. Für die Förderung lebensbegleitenden Lernens ist dies ein wichtiger Schritt.

Das Deutsche Studentenwerk befürwortet – wie andere Verbände sowie der Beirat für Ausbildungsförderung beim BMBF[12] – eine Altersstaffelung der Vermögensfreibeträge. Dies hat folgende Gründe:

  • Es gibt beim Vermögen – vereinfacht und exemplarisch formuliert – einen erheblichen Unterschied zwischen einer minderjährigen Berufsschülerin und einer mehr als 40 Jahre alten Arbeitnehmerin mit Verantwortung für Kinder, die ein Studium beginnen will und für sich sowie die Familie Vorsorge betrieben hat. Die Berücksichtigung anderer Lebenssituationen sowie der Verantwortungsumfang können wichtige Gründe für eine gestaffelte Vermögensfreistellung sein.
  • Mit der Einführung eines Vermögensfreibetrages in Höhe von 45.000 Euro und dem Verzicht auf eine Altersstaffelung im BAföG stünden womöglich Förderungsrecht und Unterhaltsrecht im Konflikt, weil ein in Ausbildung stehendes Kind keinen Anspruch auf Unterhalt gegen seine Eltern hat, wenn es über mehr als den Notgroschen verfügt. Die Unterhalts-Rechtsprechung orientiert sich bei der Bemessung des so genannten Schonvermögens, das bei ca. 5.000 € liegt. Die geplante Änderung hätte Auswirkungen auf den Gesetzesvollzug im Bereich der Unterhaltsvorausleistungen. Im BAföG-Vorausleistungsfall, müssen BAföG-Ämter bei einem Vermögen von weit über 5.000 € erst gar nicht versuchen, eine Erstattung des mit der BAföG-Vorausleistung auf den Bund übergegangenen Unterhaltsanspruchs durchzusetzen Diese Lage könnte sogar mutwillig geschaffen werden, damit der Staat das Studium fördert.

Sofern es eine Altersstaffelung des BAföG-Vermögensfreibetrags gäbe, wären gegenüber dem Gesetzentwurf Minderausgaben zu erwarten. Diese könnten für andere Maßnahmen (z.B. Abschaffung des Relikts BAföG-Leistungsnachweis) oder altersgestaffelte Bedarfssätze verwendet werden. Denn im fortgeschrittenen Alter – mit zumeist familiären Verpflichtungen – bietet ein Rückschritt auf Bedarfssätze Jugendlicher keine Anreize.

d) Digitalisierung und Erfüllungsaufwand der Verwaltung

Mit dem bundesweiten Antragsportal www.bafoeg-digital.de ist zwar die Antragstellung weitgehend digital, von einem umfassenden digitalen Prozess ist man jedoch weit entfernt, solange BAföG-Ämter noch Papierakten anlegen müssen. So entsteht kein schlankeres Verfahren (Antragsnachbesserung per Papierpost) und so schafft man auch keine kürzeren Bearbeitungsroutinen.

Sofern insbesondere durch die Erhöhung der BAföG-Freibeträge der Kreis der Geförderten erweitert würde, würde die Antragszahl deutlich steigen und zwangsläufig – allein schon wegen der Masse – zu einem höheren Erfüllungsaufwand der Verwaltung führen.

Es bestehen Zweifel, dass die BAföG-Ämter – neben ihrer im Bundesgesetz SGB I normierten Informations- und Beratungspflicht – für den Antragsaufwuchs personell entsprechend aufgestellt sind. Bei einer Mindesteinarbeitungszeit für leichte Fälle von etwa sechs Monaten, für komplexere bis zu einem Jahr, der derzeitigen Arbeitsmarktlage für Fachkräfte (Kaufleuten für Büromanagement mit Schwerpunkt „Verwaltung und Recht“), die Raumfrage (Papierakten bedinger Aktenzugriff), sind „Herausforderungen“ ohne Lösung absehbar.

Anders als im Gesetzentwurf beim Erfüllungsaufwand der Verwaltung dargestellt (Schriftformwegfall schafft höhere Entlastung als Antragsschub), kann die Praxis dies nicht nachvollziehen. Auf eine Unterschrift zunächst zu verzichten, um sie dann später im Verfahren per Post einzufordern, schafft keine Verwaltungsvereinfachung. Die diversen Funktionen einer Unterschrift sind unersetzlich.

Dabei spielt eine Rolle, dass

  • Schüler/innen und Studierende die digitalaffinste Gruppe der Bevölkerung sind,
  • die Personalausweise dieser Gruppe bereits die eID zwangsläufig beinhalten, die per AusweisApp2 wegen der Feststellung der Identität auch die Unterschrift ersetzen können,
  • Schüler/innen und Studierende wegen ihres Alters gar nicht so alte Smartphones besitzen, die noch nicht NFC-schnittstellenfähig sind (Bsp. iPhone7 2016 hat NFC-Schnittstelle).

Schwieriger wird es, wenn die Angaben der Eltern zum Elterneinkommen auf dem BAföG-Formblatt 3 von den Eltern unterschrieben werden müssen – und bei Falschangaben z.B. die Anwendung des § 47a BAföG (Erstattung) droht. Wenn nicht nachgewiesen werden kann, von wem eine Angabe herrührt, dann läuft die Regelung leer.

Innerhalb des Gesetzgebungsverfahrens sollte dies noch einmal überdacht werden.

Fazit

Das Deutsche Studentenwerk (DSW) begrüßt die vorgelegte 27. BAföG-Novelle als wichtigen Schritt, um das BAföG zu stärken. Gleichwohl sollten die Bedarfssätze noch einmal deutlich angehoben werden, damit den Studierenden kein Kaufkraftverlust zugemutet wird. Zudem sollte beim Vermögensfreibetrag eine Altersstaffelung eingeführt werden. Eine Trendumkehr bei der Zahl der BAföG-Geförderten wird sich aber erst mit einer strukturellen Reform erreichen lassen, die die Koalition bereits angekündigt hat. Sie sollte zeitnah folgen und kraftvoll ausfallen.  

Berlin, 13. Mai 2022

 

Matthias Anbuhl
Generalsekretär/Vorstand

 


[1] https://dserver.bundestag.de/btd/20/004/2000413.pdf

[2] https://www.bverwg.de/de/200521B5C11.18.0

[3] https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/aktuelles/presse/pressemitteilungen/neuausrichtung-der-familienfoerderung-startet-194722

[4] Entspricht dem BAföG-Beschluss der DSW-Mitgliederversammlung Anfang Dezember 2021.

https://www.studentenwerke.de/de/content/zeit-fuer-einen-echten-bildungsaufbruch

[5] Im Sofortzuschlags-und Einmalzahlungsgesetz: Rechtskreiswechsel https://www.bmas.de/DE/Service/Presse/Pressemitteilungen/2022/mehr-unterstuetzung-fuer-hilfebedurftige.html; https://dserver.bundestag.de/btd/20/017/2001768.pdf; das DSW hatte in seiner Stellungnahme zum Referentenentwurf 27. BAföG-Novelle die Aufnahme von § 24 AufenthaltsG in § 8 BAföG gefordert.

[6] BMBF-Referentenentwurf 28. BAföG-Novelle https://www.bmbf.de/bmbf/shareddocs/downloads/files/28-bafoegaendg-referentenentwurf.pdf?__blob=publicationFile&v=2

DSW-Stellungnahme zum Referentenentwurf 28. BAföG-Novelle

https://www.bmbf.de/bmbf/shareddocs/downloads/files/28-bafoegaendg-stellungnahme-dsw.pdf?__blob=publicationFile&v=2

[7] DSW-Stellungnahme zum Verordnungsentwurf https://www.studentenwerke.de/de/content/stellungnahme-des-deutschen-2

[8] https://www.destatis.de/DE/Themen/Wirtschaft/Konjunkturindikatoren/Preise/kpre510.html

[9] https://www.rnd.de/wirtschaft/inflation-staerkste-belastung-fuer-familien-mit-niedrigem-einkommen-BWBNHXXBX36Q7KPF77SNWM7UMY.html 20.4.2022.

[10] https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2022/05/PD22_199_61211.html; https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2022/05/PD22_N027_61.html

[11] https://www.olg-duesseldorf.nrw.de/infos/Duesseldorfer_Tabelle/Tabelle-2022/Duesseldorfer-Tabelle-2022.pdf

[12] https://www.bmbf.de/bmbf/shareddocs/downloads/files/27-bafoegaendg-stellungnahme-beirat.pdf?__blob=publicationFile&v=1