13.03.2013

Hochschulpolitik

Schriftliche Stellungnahme des Deutschen Studentenwerks für die öffentliche Anhörung des Ausschusses für Innovation, Wissenschaft und Forschung des Landtags Nordrhein-Westfalen am 13.03.2013

Zum Antrag der CDU-Landtagsfraktion NRW: Herausforderungen des doppelten Abiturjahrgangs annehmen – Wo sind die Konzepte der Landesregierung? (Drs. 16/1477)

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Das Deutsche Studentenwerk nimmt als Dachverband aller 58 Studentenwerke – die nach den landesrechtlichen Regelungen für die wirtschaftliche und soziale Förderung während des Studiums an Hochschulen zuständig sind - satzungsgemäß auch sozialpolitische Belange der Studierenden der Hochschulen wahr.

 

Die Tatsache, dass es doppelte Abiturjahrgänge geben wird, ist seit der Schulzeitverkürzung im Jahr 2004 bekannt, sowohl der Landesregierung als auch ihrer Vorgängerregierung.

 

Studierende sind mobil

Bei sogenannten doppelten Abiturjahrgängen ist zunächst zu beachten, dass sie in dem Bundesland, in dem sie anfallen, nicht automatisch mit der doppelten Anzahl von Studienanfängern einhergehen müssen.

 

So beginnen nicht alle Studienberechtigten ein Studium im Bundesland des Erwerbs der Hochschulreife, sondern in anderen Bundesländern. Und nicht alle Studienberechtigten beginnen ihr Studium unmittelbar im Jahr des Erwerbs der Hochschulreife, sondern erst mit einer Verzögerung (work and travel, freiwilliges soz. Jahr, usw.). Hinzu kommen Studienanfänger, die ihre Hochschulzugangsberechtigung weiterhin in 13 Jahren erworben haben, u.a. aus den beruflichen Schulen oder Gesamt-, Sekundarschulen oder vergleichbaren Schulformen. Schließlich nehmen etwa 20 Prozent eines Jahrgangs von Studienberechtigten zunächst eine Berufsausbildung auf, vorrangig im dualen Ausbildungssystem.

 

Es ist daher anzunehmen, dass NRW auch schon in den vergangenen Jahren Studierende doppelter Abiturjahrgänge aus anderen Bundesländern aufgenommen hat.

 

Korrektur der KMK-Prognose

Die frühere Prognose der Kultusministerkonferenz (KMK) aus dem Jahr 2009 ging davon aus, dass ca. 111.000 junge Menschen zum WS 2013/14 in NRW ein Studium aufnehmen würden. Die KMK hat Anfang 2012 eine neue Vorausberechnung der bundesweiten Studienanfängerzahlen für die nächsten Jahre veröffentlicht. Für NRW geht die KMK nunmehr von 122.900 Studienanfänger/innen im Jahr 2013 aus, die aktuelle Prognose liegt folglich über den bisherigen Schätzungen von 2009, die Grundlage für den Hochschulpakt zwischen Bund und Ländern gewesen sind.

 

Deshalb haben Bund und Länder Nachverhandlungen über die Anpassung des Hochschulpakts II (auf der Grundlage der tatsächlichen Studierendenzahlen des WS 2012/2013) aufgenommen.

 

Verantwortung für den Ausbau der Studienplätze

Seit 2007 laufen die Hochschulpakte, mit denen die Studienkapazitäten auf die zunehmenden Studierendenzahlen mit Bund-Länder-Programmen erweitert werden. Der Kardinalfehler an den Hochschulpakten ist, dass es bislang allein um die Ausweitung der Studienkapazitäten ging und die soziale Dimension - das Umfeld während des Studiums - aber unverständlicher Weise weitgehend außer Acht gelassen wurde.

 

Selbstverständlich führen mehr Studierende zu einer höheren Nachfrage nach Verpflegung in Mensen und Cafeterien und nach Wohnheimplätzen, Beratung, Kitaplätzen usw., kurz nach Dienstleistungen der Studentenwerke. Diese simple Tatsache berücksichtigt auch der MIWF-Ergebnisbericht zum Monitoringverfahren 2012 (Stand der Vorbereitungen der Hochschulen des Landes NRW auf den doppelten Abiturjahrgang; siehe Ergebnisbericht zum Monitoringverfahren 2012 unter Download). Die Landesregierung sieht mit Weitsicht den Kooperationsbedarf zwischen Hochschulen und Studentenwerken - z.B. bei der Abstimmung von Zeiten der Lehrveranstaltungen zur Vermeidung von langen Warteschlangen vor den Mensen.

 

Das Deutsche Studentenwerk als Dachverband der Studentenwerke hat stets nachdrücklich darauf insistiert, dass die Hochschulpakte um die soziale Dimension zu erweitern sind.

 

Der Bund hat in seinem Gesetzesentwurf zur Lockerung des Kooperationsverbots konstatiert, er finanziere die soziale Dimension des Studiums aus grundsätzlichen Erwägungen nicht, denn die Sicherung des sozialen Umfelds durch die Studentenwerke sei Ländersache. Demgegenüber hat das Deutsche Studentenwerk regelmäßig betont, es sei nicht nachvollziehbar, warum sich der Bund im Fall der „Schaffung neuer Studienplätze“ an der Finanzierung von fremden Aufgaben beteiligen könne, an der analogen Finanzierung der „sozialen Dimension“ dagegen nicht.

 

Die Frage nach den Konzepten der Landesregierung kann nicht losgelöst beantwortet werden, sondern muss daher die Bund-Länder-Förderung bzw. deren Fehlen berücksichtigen.

 

Konzept der Landesregierung

Die neue Landesregierung hat erfreulicher Weise durchaus Unterstützung bereitgestellt, so wurden mit Verabschiedung des aktuellen Landeshaushalts die Landeszuschüsse an die Studentenwerke zur Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben für 2011 in Nordrhein-Westfalen um mehr als 10 Prozent erhöht – und dies parallel zu der dort ab dem Wintersemester 2011/2012 geltenden Abschaffung der Studienbeiträge für die Hochschulen und deren (wenn auch unzureichenden) Kompensation.

 

Allerdings können Studien-, Wohnheim- und Mensaplätze nicht plötzlich aus dem Boden gestampft werden. Deren Realisierung benötigt vielmehr einen Vorlauf, der sicher nicht in ein, zwei Jahren zu bewerkstelligen ist, sondern für den Mittel schon deutlich früher eingeplant sein müssen.

 

Das Deutsche Studentenwerk erkennt an, dass eine Minderheitsregierung in ihrer ersten Wahlperiode geringe Chancen hatte – auch aufgrund der Klagen gegen zwei Landeshaushaltsjahre – noch weiter reichende Akzente zu setzen.

 

Deshalb steht hier die vorangegangene Landesregierung, die im Übrigen die Zuschüsse an die Studentenwerke erheblich gekürzt hatte, ebenso in der Verantwortung wie auch die Bundesregierung.

 

Handlungsbedarfe

Angesichts der aktuellen Situation an den Hochschulstandorten sieht das Deutsche Studentenwerk bei den nachfolgenden drei Aufgabenbereichen auch in Nordrhein Westfalen besonderen Handlungsbedarf.

 

1. Studentische Wohnsituation

An vielen Hochschulstandorten in Deutschland, auch an einer Reihe von Standorten in Nordrhein-Westfalen, besteht ein dauerhafter Mehrbedarf an preisgünstigem Wohnraum für Studierende.

 

Mit der Schaffung zusätzlicher Wohnheimplätze könnte die Situation - insbesondere für Studienanfänger - deutlich verbessert werden. Mit Wohnflächen von 20-22 m² sind Wohnheimplätze zwar eher spartanische Angebote im Vergleich zum allgemeinen Wohnungsmarkt; sie können aber die oft bescheidenen Wohnbedürfnisse von Studierenden erfüllen. Der Studentenwohnheimbau kann mit relativ geringem Aufwand eine spürbare Verbesserung der Wohnsituation bewirken. Hinzu kommt, dass das studentische Lebensumfeld in den Wohnheimen die Integration in den Studienalltag, den „Studienstart“, wesentlich erleichtert.

 

In 2010/2011 konnten dank 120 Mio. € aus dem Konjunkturpaket zwar umfangreiche Maßnahmen zur energetischen Sanierung und Modernisierung an bestehenden Wohnanlagen realisiert werden. Demgegenüber existierten jedoch in den letzten Jahren keine Studentenwohnraumförderungsprogramme für den Neubau der verschiedenen Landesregierungen in Nordrhein-Westfalen. Vereinzelt konnten zwar Mittel aus der Sozialen Wohnraumförderung über den Sondertitel „Experimenteller Wohnungsbau“ in Anspruch genommen werden. Dies erfolgte allerdings ausschließlich als Kreditvergabe und zudem mit besonderen bürokratischen Auflagen.

 

Das Deutsche Studentenwerk begrüßt, dass jetzt von der Landesregierung Kredite in Höhe von 50 Mio. € für den Studentenwohnheimbau bereitgestellt werden. Allerdings müssen wir darauf verweisen, dass mit der vorgesehenen reinen Kreditfinanzierung auch gemeinnützige Träger keine Bruttowarmmieten in Höhe des im BAföG vorgesehenen Bedarfssatzes für die auswärtige Unterbringung realisieren können.

 

Der Freistaat Bayern zeigt dagegen erfolgreich seit mehreren Jahren, dass mit Zuschüssen günstige Mieten durchaus möglich sind. In Bayern werden bis zu 26.500 € Förderung pro Platz als nicht rückzahlbare Darlehen – also faktische Zuschüsse – gewährt. Im Interesse der Studierenden bitten wir daher die Landesregierung, auch in Nordrhein-Westfalen eine entsprechende Zuschussfinanzierung einzuführen.

 

Des Weiteren verursachen zusätzliche Auflagen aus unserer Sicht unnötige Mehrkosten. Selbst bei einem möglichen, jedoch nicht sicheren Rückgang der Studierendenzahlen ab Anfang der 2020er Jahre wird der jetzt zu schaffende Wohnraum auch dauerhaft von Studierenden genutzt werden. Sonderanforderungen an die bauliche Ausstattung, z.B. für eine etwaige spätere Nutzung für Senioren, sind unseres Erachtens angesichts der dauerhaften studentischen Bedarfssituation überflüssig.

 

Die Studentenwerke können als gemeinnützige öffentliche Träger die dauerhafte und zweckgebundene Nutzung der Gebäude für studentische Wohnbedarfe verlässlich sichern. Dazu gehört selbstverständlich auch die grundsätzliche Gleichbehandlung aller studentischen Bewerber/innen und die Vergabe der Wohnplätze nach dem Bedarf. Der Bedarf ist an den einzelnen Hochschulorten allerdings sehr unterschiedlich.

 

2. Hochschulgastronomie

Angesichts der Studierendenzahlen besteht an mehreren Hochschulen Bedarf für den Ausbau der Kapazitäten bzw. die Schaffung neuer Einrichtungen. Auch hier ist der Bedarf ortsspezifisch, teilweise sogar hochschulspezifisch, sehr unterschiedlich.

 

3. BAföG

Die Haushaltsansätze für die Aufwandserstattung BAföG waren von 2010 bis 2012 - trotz steigender Antragszahlen und Personalkostensteigerungen - auf 15.345.000 € „gedeckelt“. Schon im WS 2011/2012 und WS 2012/2013 äußerten die ASten, dass ein BAföG-Bewilligungsstau wegen Personalmangels nicht hinnehmbar sei.

 

Im Haushalt 2013 sind für die BAföG-Verwaltungskostenerstattung bei den Studentenwerken 19 Mio. € eingestellt – eine Steigerung um 3,65 Mio. €. Für 2014 und 2015 ist eine leichte Absenkung des Ansatzes um 300.000 € auf jeweils 18,7 Mio. € vorgesehen.

Aus Sicht der Studentenwerke wäre anzufügen: Es müsste sichergestellt sein, dass mit diesen Haushaltsansätzen im Verlauf der drei Jahre sämtliche notwendigen Personal- und Sachkosten gedeckt werden könnten. Veränderungen der Antragsfallzahlen müssten im Jahr 2015 berücksichtigt werden, wenn sie um mehr als 10 % gegenüber dem Jahr 2012 gestiegen sind.

 

Berlin, März 2013

 

Achim Meyer auf der Heyde

Generalsekretär