11.12.2022

Nicht auf halbem Weg stehen bleiben: Für eine nachhaltige BAföG-Reform

Die 84. ordentliche Mitgliederversammlung des Deutschen Studentenwerks (DSW) möge beschließen:

/fileadmin

Die neue Bundesregierung ist mit dem Anspruch gestartet, das BAföG grundlegend zu reformieren und zu stärken. Und der Reformbedarf ist groß: Nach vielen Jahren, in denen das BAföG vernachlässigt wurde, erhalten nur noch elf Prozent der Studierenden diese staatliche Studienfinanzierung.

Dieser bildungs- und gesellschaftspolitische Missstand spricht nicht gegen das BAföG. Ganz im Gegenteil: Es ist noch immer ein großartiges Instrument für Chancengleichheit, und Deutschland kann es sich aus sozialen und wirtschaftlichen Gründen nicht leisten, dass ein Studium am Geldbeutel der Eltern scheitert. Für eine nachhaltige Trendwende beim BAföG muss die Bundesregierung an drei Hebeln ansetzen.

Erstens: Die Regierung muss deutlich mehr Geld in das BAföG investieren. Die Bedarfssätze müssen steigen, damit die Förderung für Studierende zum Leben reicht – und die Elternfreibeträge müssen massiv erhöht werden, damit endlich wieder mehr Studierende von der Förderung profitieren. Das BAföG ist – wie schon üblich beim Wohngeld, den Diäten und bald auch beim Bürgergeld – automatisch an die Entwicklung von Preisen und Einkommen anzupassen.

Zweitens: Das BAföG passt oftmals nicht mehr zur Lebenswirklichkeit der Studierenden. Wir brauchen deshalb eine strukturelle Reform, die den vielfältigeren und bunteren Lebensentwürfen gerecht wird. Rund 40 Prozent der Studierenden fallen bereits vor der Einkommensprüfung aus dem BAföG heraus, weil sie das Studienfach gewechselt haben, zu alt sind oder zu lange studieren; die Förderung ist an die Regelstudienzeit gekoppelt, in der aber nur gut ein Drittel der Studierenden das Studium abschließen kann.

Drittens: Das BAföG muss einfacher und digitaler werden. Zwei Beispiele: Im BAföG wird noch immer ein Leistungsnachweis nach vier Semestern gefordert – ein Relikt, das noch aus der Zeit vor dem Start des Bologna-Prozesses 1999 und der Umstellung auf Bachelor und Master stammt. Zweites Beispiel: Die BAföG-Beantragung ist digitalisiert, die dann folgenden Prozesse aber nicht; es gibt keine e-Akte. Die BAföG-Ämter müssen die digital eingereichten Anträge erst einmal ausdrucken und eine Papierakte anlegen: Digitalisierung ad absurdum!

Angesichts dieses umfangreichen Reformbedarfs schlagen wir vor, in zwei Schritten vorzugehen: erst eine schnelle Gesetzesnovelle mit schnellen Anhebungen, damit den Studierenden nicht weitere BAföG-Nullrunden zugemutet werden müssen, dann in einem zweiten Schritt eine grundlegende Strukturreform.

Mit dem Plus bei den Bedarfssätzen und den Elternfreibeträgen, der Anhebung der Altersgrenzen und der altersgestaffelten Anhebung der Vermögensfreibeträge über die 27. BAföG-Novelle, dem neuen BAföG-Notfallmechanismus mit der 28. BAföG-Novelle und der Öffnung des BAföG für aus der Ukraine registrierte Flüchtlinge (§ 61 BAföG) hat die Bundesregierung in einem ersten Schritt wichtige Impulse gesetzt, die auch Forderungen des DSW aufgegriffen haben.

Dennoch besteht weiterer Reformbedarf. Wir fordern daher von Bund und Ländern:

  • eine sofortige weitere kräftige BAföG-Anhebung, die die Studierenden über die Inflation trägt. Dazu gehört die Anhebung des BAföG-Grundbedarfs: Aktuell sind für die Lebenshaltung 502 Euro pro Monat – wie beim Bürgergeld ab 2023 – sowie für die Ausbildung 100,40 Euro pro Monat (20% von 502 €), zusammen aufgerundet 603 Euro pro Monat vorzusehen. Der auswärtige pauschalisierte Unterkunftsbedarf ist - analog zur „Düsseldorfer Tabelle“ - mindestens auf 410 € im Monat anzuheben. Zudem ist eine jährliche Anpassung wie bei Renten, Diäten, Wohngeld, Bürgergeld, Einkommensteuer zwingend, bei kräftiger Inflation auch unterjährig.

Die Energie- und Inflationskrise zeigt: Es gibt Krisen für Studierende, die über eine Störung des Arbeitsmarktes studentischer Nebentätigkeiten hinausgehen. Deshalb muss der Bundestag auch in anderen Krisensituationen reagieren können und den BAföG-Notfallmechanismus aktivieren können. § 59 BAföG ist entsprechend nachzubessern, das Notfall-BAföG als Vollzuschuss und auch an internationale Studierende zu zahlen.

  • Als zweiter Schritt muss für eine BAföG-Novellezum Herbst 2023 vorrangiges Ziel sein, dass mehr Studierende als die derzeit 60 % die BAföG-Voraussetzungen erfüllen. Dafür sind folgende Punkte umzusetzen:
  • Als dritter Schritt ist in dieser Legislaturperiode eine strukturelle Reform der Ausbildungsförderung nach dem Drei-Körbe-Modell anzugehen: mit einem ersten Korb mit einer elternunabhängigen Sockelförderung für alle volljährigen Auszubildenden, einem vereinfachten und existenzsicherenden BAföG als zweitem Korb sowie einem dritten Korb mit einem zinslosen Darlehensangebot.

Sofern nicht bereits erfolgt, sind gleichzeitig Lösungen für Teilzeitstudium und Abkoppelung der Förderungshöchstdauer an die fiktive Regelstudienzeit umzusetzen.

  • Sofort nach der bundeseinheitlichen e-Antragstellung über bafoeg-digital.de ist durch Bund und Länder gemeinsam auch eine bundeseinheitliche barrierefreie Digitalisierung aller BAföG-Prozessschritte umzusetzen, einschließlich e-Akte und e-Bescheid. Grundsätzlich ist das BAföG einfacher und transparenter zu gestalten. Die personelle und sächliche Ausstattung der BAföG-Ämter muss neue Schwerpunkte wie individuelle Beratung der heterogenen Studieninteressierten sowie der Studierendenschaft berücksichtigen und ausgebaut werden.