11.12.2020

Nach erfolgreichen 50 Jahren: Grundlegende BAföG-Reform notwendig!

Die Mitgliederversammlung des Deutschen Studentenwerks fordert die Bundesregierung auf, zum 50. BAföG-Geburtstag 2021 – anstelle der üblichen Anpassungsnovellen – nun die längst überfällige umfassende strukturelle BAföG-Reform vorzunehmen und an die realen Studien- und Lebensrealitäten der Studierenden anzupassen, damit das BAföG endlich wieder seinem originären Auftrag gerecht wird und erneut mehr Studierende sowie auch Familien mit mittleren Einkommen erreicht.

/fileadmin

Im Rahmen dieser Reform ist es erforderlich,

  • die ursprünglich zum Herbst 2021 vorgesehene BAföG-Freibetragsanhebung in einem ersten Schritt nun unmittelbar vorzuziehen und die Anhebung um mindestens 15% erfolgen zu lassen,
  • grundsätzlich eine BAföG-Förderung in existenzsichernder Höhe zu ermöglichen,
  • die BAföG-Förderungshöchstdauer endlich entsprechend der Studienrealität auf „Regelstudienzeit plus zwei Semester“ zu erhöhen und insoweit zugleich der Förderung der Hochschulkapazitäten über die Hochschulpakte zu folgen,
  • das BAföG-Gesetz durch gesetzliche und Verordnungsvereinfachungen zu entbürokratisieren sowie in Richtung eines Vollzuschusses zu reformieren,
  • eine bundeseinheitliche einfache digitale Antragstellung und Antragsbearbeitung zu gewährleisten sowie
  • für nationale Krisensituationen einen generellen Öffnungsmechanismus vorzuhalten.

Begründung:

Die Gewährleistung von Chancengleichheit und Mobilisierung von Bildungspotenzialen ist auch nach 50 Jahren BAföG-Erfolgsgeschichte eine stetige Herausforderung.

Millionen Studierende haben – mit erheblichem Eigenanteil – von der finanziellen Unterstützung der eigenen Studienanstrengungen profitiert. Die Absolvent/innen, deren Elternhäuser finanzielle Unterstützung während eines Studiums nicht oder nicht allein hätten bieten können, tragen jetzt Verantwortung in Staat und Gesellschaft.

Aktuell erreicht das BAföG – losgelöst von den wirtschaftlichen Verhältnissen – aufgrund der studien- und lebensfernen Kriterien (z.B. Beschränkung auf die Regelstudienzeit, Altersgrenze, Neubeginn nach Fachrichtungswechsel/Studienabbruch in höheren Semestern, Staatsangehörigkeit) von vornherein nur noch knapp 63% der Studierenden. Trotz des steilen Anstiegs der Anzahl der Studierenden auf inzwischen knapp 3 Mio. erhalten seit Jahren gleichbleibend nur etwas mehr als 300.000 Studierende (im Monatsschnitt) eine Förderung. Darüber hinaus ermöglichen die BAföG-Elternfreibeträge – infolge der unzureichenden Anpassungen – nur noch Studierenden aus Familien mit geringem Einkommen, die oftmals selbst abhängig von Sozialleistungen sind, eine BAföG-Förderung. Das von der Bundesregierung selbst gesetzte Ziel einer Ausdehnung in die Mittelschicht hinein wird dagegen seit langem nicht mehr erreicht.

Daher ist es nun dringend Zeit für eine zukunftsträchtige Reform des BAföG, die über ausschließliche Anpassungsnovellen (nur Anhebung der Freibeträge und Bedarfssätze) weit hinausreicht, auch wenn die stete Anpassung an die Einkommens- und Preisentwicklung in zweijährigem Abstand auf Basis der BAföG-Berichte generell notwendig ist. Da durch die mit der 26. Novelle beschlossenen Verschiebung des Berichts die Einkommens- und Preisentwicklung gegenüber dem letzten Bericht nicht mehr lückenhaft dargestellt wird, ist die für das Jahr 2021 vorgesehene Anhebung umgehend vorzuziehen. Die BAföG-Elternfreibeträge müssen darüber hinaus noch in dieser Legislaturperiode – über die Anhebung um 6 % im Herbst 2021 hinaus – deutlich erhöht werden. Dies ist erforderlich, damit auch wieder Familien mit mittleren Einkommen erreicht werden – ein Ziel, das im Ursprungs-BAföG formuliert ist und von der jetzigen Bundesregierung bei mit der 26. Novelle bekräftigt wurde.

Die Bedarfssätze müssen – als Surrogat für den Elternunterhalt – ebenfalls existenzsichernd sein. Der BAföG-Bedarfssatz für unter 25-Jährige von 752 Euro/mtl. ist vergleichbar mit dem Orientierungswert der Düsseldorfer Tabelle, der bei 860 Euro/mtl. liegt. Höhere eigene Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge der Studierenden erhöhen beide Beträge. Zum Beispiel beträgt der BAföG-Wohnbedarf für Studierende, die nicht bei den Eltern wohnen, 325 Euro/mtl. gegenüber 375 Euro/mtl. bei der Düsseldorfer Tabelle. Der monatlich angesetzte Bedarf ist also 50 Euro zu niedrig. Im Jahr macht diese Differenz 600 Euro aus. Ebenso sind die beim Elternunterhalt von den Eltern zu tragenden Kosten für Immatrikulation/Rückmeldung zum Studium (inzwischen bis zu 440 Euro pro Semester) künftig beim BAföG zu berücksichtigen.

Alle BAföG-Kriterien (z.B. Studienformen, Altersgrenzen, Förderdauer, Leistungsnachweis) müssen dringend dahingehend evaluiert werden, ob sie der Hochschul- und Lebensrealität entsprechen. DSW, Studenten- und Studierendenwerke bieten dafür ihre Expertise an. Innerhalb der Regelstudienzeit absolvieren nur 40,3 % der Studierenden ein Bachelorstudium und nur 28,6 % ein Masterstudium. Wenn aber die Regelstudienzeit gleichzeitig die BAföG-Förderungshöchstdauer darstellt, dann muss das Kriterium Regelstudienzeit um ein bis zwei Semester erweitert werden – entsprechend dem Vorschlag des Wissenschaftsrats zur zukünftigen Finanzierung der Hochschulen. Generell ist darüber hinaus das BAföG dergestalt zu flexibilisieren, dass die Förderung alle Studienformen, die nach dem Hochschulrecht möglich sind, umfasst.

Die BMBF-Überbrückungshilfe, die als Zuschuss für Studierende von Juni bis September 2020 gezahlt wurde, hat gezeigt, dass sich Studierende in einer dauerhaft prekären Notlage befinden. Die Überbrückungshilfe konnte trotzdem vielen, die in finanzieller Not waren, nicht helfen, weil die Studierenden ihre Notlage nicht als pandemiebedingt nachweisen konnten. Es gibt eine strukturelle Armut unter den Studierenden, die schon vor der Pandemie virulent war und durch die beiden FiBS-Studien 2018 und 2019 belegt sind.

Das zwingt nicht nur zu einer BAföG-Reform, sondern auch zu einem Notfallmechanismus innerhalb des staatlichen Studienfinanzierungssystems BAföG, um mögliche nationale Krisensituationen ähnlichen Ausmaßes zu bewältigen.

Wenn pandemiebedingt für Soloselbständige SGB II-Leistungen ohne Vermögensanrechnung eröffnet werden, dann ist auch vorstellbar, dass in Krisensituationen zeitlich beschränkt BAföG-Kriterien außer Betracht bleiben. Dabei wird es sich um Kriterien handeln, die in Nichtkrisenzeiten Studierende von einem BAföG-Bezug ausschließen und deren Prüfung wegen des Verwaltungsaufwands eine schnelle Entscheidung und Hilfe beeinträchtigen.

Die digitale Umsetzung des bestehenden, reformbedürftigen BAföG kann nur dann gelingen, wenn zugleich die Zahl der Anforderungen im Gesetz BAföG deutlich vermindert wird.