05.12.2012

Gerechtigkeitslücken durch eine zukunftsorientierte Studienfinanzierung schließen

Nur eine zukunftsorientierte Studienfinanzierung schafft Chancengleichheit und erschließt Bildungspotentiale.

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Die 73. ordentliche Mitgliederversammlung des Deutschen Studentenwerks (DSW) fordert Bund und Länder auf, in der 2013 beginnenden nächsten Legislaturperiode eine zukunftsorientierte Studienfinanzierung basierend auf folgenden Eckpunkten umzusetzen:

 

  1. Umwandlung des steuerrechtlichen in einen sozialrechtlichen Familienleistungsausgleich sowie altersunabhängige Förderung analog der steuerrechtlichen außergewöhnlichen Belastung.
     
  2. Direkte Zahlung aller staatlichen Leistungen an die Studierenden – generell an alle Auszubildenden.
     
  3. Ausbau des BAföG zur Erschließung aller brachliegenden Bildungspotenziale, dazu quantitativer Ausbau des BAföG als elternabhängige staatliche Breitenfinanzierung weit in die Mittelschicht hinein sowie qualitativer Ausbau im Hinblick auf die künftig steigende Diversität der Studierenden und die besonderen Lebenslagen beispielsweise von Studierenden mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen, Studierenden mit Kindern und Familien, Studierenden mit Migrationshintergrund und Studierenden nach Berufsphasen.
     
  4. Ausbau des BAföG im Hinblick auf die Anforderungen eines Systems des lebensbegleitenden Lernens und alternierender Phasen akademischer Erstausbildung, Berufsphasen und akademischer Weiterbildung.
     
  5. Automatisierte Anpassung der Bedarfe und Finanzierungsparameter an die Preis- und Einkommensentwicklung, um Studieninteressierten nachhaltige Sicherheit im Hinblick auf die Studienfinanzierung zu geben.

Begründung:

Die Veränderungen und die künftige Diversität der Studierendenschaft verschärfen die bereits bekannten Probleme in der Studienfinanzierung:
 

  • Die bisherige jugendpolitische Ausrichtung der Studienfinanzierungsmöglichkeiten bietet keine zukunftsorientierte Lösung für beispielsweise den demografischen Wandel und Fachkräftemangel, minderjährige Studierende, ältere Studierende durch alternierende Studien-, Berufs- und Studienphasen, Zuwachs bei dualen und berufsbegleitenden Studiengängen, Weiterbildungsstudierende und Teilzeitstu- dierende.
  • Die bestehenden Gerechtigkeitslücken beim steuerlich ausgestalteten Familienleistungsausgleich müssen behoben werden. Kinder armer Eltern müssen dem Staat genauso so viel wert sein wie die reicher Eltern und insofern die höheren Transfers in gleichen Maße erhalten. Zudem sind bei den indirekten Transfers (Vollzuschuss) über/an die (unterhaltsverpflichteten) Eltern die Anforderungen an die Studierenden (im Hinblick auf den Leistungsnachweis und die Regelstudienzeit) geringer als zum Beispiel beim BAföG.
  • Die staatliche Verantwortung für  eine Breitenförderung wird von staatlicher  Seite unzureichend ernst genommen, wie das ständige Ringen um die festgestellte notwendige Anpassung der Freibeträge und Bedarfssätze im BAföG zeigt. Das BAföG ist und bleibt – mit entsprechenden Veränderungen – jedoch der Kern der Studienfinanzierung. Es ist daher quantitativ weit in die Mittelschicht und qualitativ sich an der künftigen Diversität in der Studierendenschaft orientierend auszubauen und muss automatisch die jeweilige aktuelle Preis- und Einkommensentwicklung berücksichtigen.
  • Mit der Umstellung auf gestufte Studiengänge und alternierenden Studien- und Berufsphasen werden Bildung und Qualifizierung sich auf das gesamte Leben erstrecken. Daher müssen sich staatliche Finanzierungsangebote auch darauf erstrecken.

Ziele einer zukunftsorientierten Studienfinanzierung sind die Schaffung von Chancengleichheit und die Erschließung von Bildungspotentialen.

 

Die Rekrutierung aller Bildungspotentiale ist Notwendigkeit und Pflicht im Hinblick auf den demografischen Wandel: Während die „Bildungstrichter“ in den Sozialerhebungen des DSW zeigen, dass Potentiale aus bildungsnahen Herkunftsgruppen nahezu ausgeschöpft sind, können weitere Potentiale zwangsläufig nur aus bildungsfernen „first generation“ und einkommensschwachen Elternhäusern kommen.

 

Gerechtigkeitslücken sieht das DSW bei der indirekten Förderung an die Eltern durch Kindergeld und Steuerentlastungen. Derzeit erhalten die Eltern – je nach zu versteuerndem Einkommen – zwischen 184 Euro (nur Kindergeld) und 300 Euro pro Monat. Eltern mit einem Spitzensteuersatz, erhalten über steuerliche Kinder- und Ausbildungsfreibeträge monatlich

300 Euro. Auch dann, wenn diese wegfallen, können sie Unterhaltszahlungen als außergewöhnliche Belastungen steuerlich absetzen und ihnen werden 300 Euro pro Monat zuteil. Eltern, die nur den Eingangssteuersatz zahlen, erhalten hingegen lediglich 100 Euro pro Monat (über die Steuer) und Eltern ohne Steuerlast sogar gar nichts. Staatliche Förderung muss transparent sein. Und: Kein „Kind“ darf dem Staat mehr wert sein als ein anderes!

Zudem müssen Studierende mit direkter BAföG-Förderung Leistungsnachweise erbringen und die Regelstudienzeit einhalten – Studierende mit indirekter steuerlicher Förderung über die Eltern aber nicht.

 

Darüber hinaus sind staatliche Transferleistungen, kurzfristig insbesondere das Kindergeld, direkt an erwachsene Auszubildende auszuzahlen. Dies kann schnell erfolgen. Die Direktauszahlung ist auch bisher möglich, allerdings nur dann, wenn die Eltern ihrer Unterhaltspflicht nicht nachkommen (§ 74 EStG). Für die Eltern sind mit dieser Forderung keinerlei Nachteile verbunden, denn deren Unterhaltsverpflichtung gegenüber den Kindern sinkt automatisch in Höhe des Kindergeldes.

Für die Studierenden wäre bereits die Direktauszahlung jedoch ein Gewinn: 2009 betrug für

35 Prozent der Studierenden der elterliche Fehlbetrag 101 Euro pro Monat. Nach der Sozialerhebung werden etwa 200.000 Studierende nicht angemessen durch ihre Eltern alimentiert.

Der Staat kann nicht einerseits die Verletzung der Unterhaltspflicht über § 170 StGB strafrechtlich sanktionieren wollen, anderseits aber die Augen vor diesem Massenproblem verschließen. Denn vor allem nichtförderungsberechtigten Studierenden ist der Weg der BAföG-Vorausleistung nach § 36 BAföG verschlossen.

 

Ein zukünftiges System muss in Abstimmung mit anderen Systemen entwickelt werden, insbesondere denen, die auf das BAföG zurückgreifen wie das SGB III, das AFBG („Meister- BAföG“) und die Richtlinien der Begabtenförderungswerke.

Wer eine Hochschulzugangsberechtigung erlangt hat, muss die Chance auf ein Studium erhalten und darf nicht an finanziellen Hürden scheitern – dies gilt auch Menschen jenseits der starren Altersgrenzen des BAföGs. Soll das Lernen das Leben begleiten, dann muss sich dies auch jeder und jede finanziell leisten können.

 

 

 

73. ordentliche Mitgliederversammlung

des Deutschen Studentenwerks (DSW)

am 4./5.12.2012