02.12.2009

Forderungen des Deutschen Studentenwerks an die neue Bundesregierung

Die 70. ordentliche Mitgliederversammlung des Deutschen Studentenwerks (DSW) stellt fest, dass das Verfassungsgebot der gleichen Teilhabe an Bildung im deutschen Bildungssystem dauerhaft verletzt wird. Die soziale Herkunft eines Menschen entscheidet immer noch über seinen Bildungsweg.

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Das deutsche Bildungssystem ist weiterhin selektiv wie kaum ein anderes in der Welt.

Diese Polarisierung von Bildungschancen ist ein großes Hindernis auf dem Weg in die Wissensgesellschaft, volkswirtschaftlich eine Vernachlässigung von personellen Ressourcen und bildungspolitisch ein Versagen.

 

Die 70. ordentliche Mitgliederversammlung fordert daher die Bundesregierung auf, gemeinsam mit den Ländern

 

  • Deutschlands Bildungssystem sozial durchlässiger zu machen und bis zum Jahr 2020 den Anteil von Studierenden aus Nicht-Akademiker-Familien deutlich zu er­ höhen, zumindest aber zu verdoppeln,
  • das  Kooperationsverbot  zwischen  Bund  und  Ländern  aufzuheben , um  die  Bildungsrepublik  nachhaltig  zu realisieren,
  • das  Hochschulrahmengesetz aufrecht zu erhalten, um die Hochschulzulassung und die Hochschulabschlüsse weiterhin zentral zu regeln,
  • als zentrale Studienfinanzierung das mit Rechtsanspruch verbundene BAföG entsprechend den Ankündigungen auszubauen und zum Herbst 2010 zu erhöhen,
  • darüber hinaus Studiengebühren abzuschaffen,
  • flankierend mehr Stipendien für unterrepräsentierte Gruppen nach sozialen Kriterien bereitzustellen,
  • die Kindergeldgrenze während einer Ausbildung wieder von 25 auf 27 Jahre hoch zu setzen und
  • Hochschulen und Studentenwerke zukunftsgerichtet und ausreichend zu finanzieren.

Begründung

1. Deutschlands Bildungssystem sozial durchlässiger machen, Anteil von Studierenden aus Nicht-Akademiker-Familien deutlich erhöhen, mindestens verdoppeln.

Deutschland braucht mehr Studierende. Die Rekrutierungspotenziale aus den hochschulnahen   Bildungsmilieus   sind   weitgehend   ausgeschöpft.  Daher  sind  junge  Menschen  auch aus hochschulfernen und einkommensschwächeren Schichten, die bisher  deutlich  unterrepräsentiert sind, für  ein Hochschulstudium zu gewinnen. Es geht darum, die Talente jedes Einzelnen zu erkennen und zu fördern, unabhängig vom Einkommen  und dem Bildungsstatus der Eltern. Das ist  nicht  nur ein Gebot  der Gerechtigkeit,  sondern  auch  eine volkswirtschaftliche Notwendigkeit. Ziel der Bundesregierung  muss daher sei n, den  Anteil  von   Studierenden  aus N ich t-Akademiker -Familien  von  derzeit  23 %  in  den  kommend en  zehn  Jahren  zu  verdoppeln .

 

2. Kooperationen zwischen Bund und Ländern stärken, um die Bildungsrepublik nachhaltig zu realisieren.

Eine Bildungs- und Hochschulpolitik, die mehr Chancengleichheit und mehr soziale Durchlässigkeit realisieren will, darf nicht am Zuständigkeitswirrwarr scheitern. Vielmehr  müssen Bund und Länder ihrer gesamtgesellschaftlichen Verantwortung gemeinsam gerecht werden können. Der bestehende Wettbewerbs- oder  Konkurrenzföderalismus von  16 Ländern  verhindert häufig sachgerechte Lösungen dieser Zukunftsaufgabe.

Die im Zuge der Föderalismusreform zwischen Bund und Ländern festgelegte Kompetenzzuweisung in der Bildung muss neu gestaltet werden: Der bildungs- und hochschulpolitische Entscheidungs- bzw. Gestaltungsspielraum des Bundes ist deutlich zu erweitern und das Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern i n der Bildungspolitik muss durch eine Verfassungsänderung aufgehoben werden. Nu r  so  können  die  Bildungsrepublik  realisiert sowie Chancengleichheit im Bildungswesen und in der Hochschulausbildung sichergestellt werden.

 

3. Das Hochschulrahmengesetz (HRG) aufrechterhalten

Der Bund  muss auch zukünftig die ihm nach der Föderalismusreform  verbliebene Verantwortung für die Bereiche Hochschulzulassung und Hochschulabschlüsse wahrnehmen. Das Abweichungsrecht der Länder soll und darf den Bund nicht davon abhalten, seinerseits  Regelungen zu treffen. Für die Länder bedeutet es einen wesentlichen Unterschied, ob sie völlig frei Regelungen gestalten bzw. verändern können oder  ob die  Notwendigkeit  der  Rechtfertigung gegenüber einer Bundesregelung besteht. Rechtliche Unterschiede zwischen den 16 Bundesländern in Bezug auf diese wesentlichen Bereiche des Hochschulrechts würden zu noch  stärkeren Unsicherheiten bei Studierenden und Studierwilligen führen. Die Aufrechterhaltung des HRG sichert ein Grundmaß an Chancengleichheit bei der Hochschulzulassung sowie Transparenz und Allgemeinverbindlichkeit bei den Abschlüssen.

 

4. Studienfinanzierung : BAföG  ausbauen

Das BAföG muss als leistungsfähige staatliche Studienfinanzierung ausgebaut   und   zum

1.10.2010 entsprechend der Ankündigung bedarfsgerecht erhöht werden. Im Gegensatz zu anderen Studienfinanzierungsmöglichkeiten ist es sozial, transparent, planbar und rechtssicher. Als im Vergleich zu Stipendien zentrales Instrument der Studienfinanzierung ist es durchgängig j e zur Hälfte als Zuschuss bzw. zinsloses Darlehen zu gewähren - auch bei einer Anhebung oder dem Wegfall der BAföG-Altersgrenze.

 

5. Studiengebühren abschaffen

Wenn Bildung ein Bürgerrecht ist - so der Koalitionsvertrag - dann müssen Studiengebühren bundesweit abgeschafft werden. Sie stellen eine soziale Hürde beim Übergang zur Hochschule dar.

 

6. Das nationale Stipendienprogramm sowie die Begabtenförderung nicht nur an Begabung, sondern zugunsten der Öffnung  für unterrepräsentierte Gruppen ins­ besondere an soziale Kriterien knüpfen

Das DSW begrüßt, dass der Anteil der Stipendien an der Studienfinanzierung von derzeit 2 % steigen soll. Die dafür erforderliche Bereitstellung  von  360 Mio.  Euro p.a.  darf  aber nicht  zu Lasten des BAföG geh en.

Vor dem Start eines nationalen Stipendienprogramms ist zu prüfen, inwieweit und durch wel­che Maßnahmen unterrepräsentierte Gruppen davon profitieren können. Bis lang gehört jeder zweite Geförderte der Begabtenförderungswerke zur  höheren Herkunftsgruppe, aber nur jeder zehnte zur Herkunftsgruppe „ niedrig".

Ebenso sind Mitnahmeeffekte zu vermeiden: Bei der Begabtenförderung erhalten Studierende aus einkommensstarken und eher bildungsnahen Familien bisher nur 80 Euro/mtl. Dies soll jetzt um 220 Euro auf 300 Euro/mtl. steigen.

 

7. Das Kindergeld während einer Ausbildung statt bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres wieder bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres gewähren

Laut Statistischem Bundesamt lag das Durchschnittseintrittsalter von Studienanfänger /innen im Jahr 2007 bei 21,9 Jahren, das der Absolvent/innen bei 27,6 Jahren. Fast die Hälfte der Studienzeit verbringen deutsche Studierende damit nunmehr ohne Förderung durch Kindergeld.

 

8. Hochschulen und Studentenwerke ausreichend finanzieren

Die Realisierung der Bildungsrepublik Deutschland und die Sicherung der Teilhabe erfordern eine beschleunigte Umsetzung des im Bildungsgipfel 2008 formulierten Ziels, bis 2015 10% des Bruttoinlandprodukts für Bildung und Forschung auszugeben.

Die Bundesregierung ist daher gemeinsam mit den Ländern gefordert, die Hoch schulen finanziell so auszustatten, dass ein ausreichendes und qualitativ hochwertiges Studienplatzangebot für alle Studierwilligen zur Verfügung steht und den uneingeschränkten Übergang von Bachelor zu Master erlaubt. Dies gilt ebenso für die Finanzierung der sozialen  Infrastruktur  bzw. der Studentenwerke, denn ohne ausreichende finanzielle Mittel sind hochwertige und den heutigen Studienanforderungen adäquate Service- und Beratungsangebote auf Dauer nicht vorzuhalten und der Studienerfolg ungesichert.

 

 

 

70. ordentliche  Mitgliederversammlung

des Deutschen Studentenwerks (DSW)

am 1./2.12.2009