09.12.2021

Der Campus nach Corona: sozial, digital und nachhaltig. DSW-Impulse für eine starke soziale Infrastruktur an den Hochschulen

Die 57 Studenten- und Studierendenwerke haben auf ihrer 83. ordentlichen Mitgliederversammlung unter dem Dach des Deutschen Studentenwerks (DSW) ihre Forderungen an Bund und Länder formuliert, welche Investitionen in die soziale Infrastrukur der Studierendenwerke nötig sind: Für den Neubau von mindestens 25.000 zusätzlichen Wohnheimpläten sowie die Sanierung/Modernisierung und digitale Nachrüstung ihres Wohnheimbestandes fordern die Studierendenwerke Bund-Länder-Zuschüsse in Höhe von 2,6 Milliarden Euro. Für den Ausbau und die Sanierung ihrer Mensen und Cafterien veranschlagen die Studierendenwerke Bund-Länder-Zuschüsse in Höhe von weiteren 1,6 Milliarden Euro. Damit sie in ihren psychosozialen Beratungsstellen die psychischen Pandemiefolgen für Studierende abmildern können, fordern die Studierendenwerke, dass Bund und Länder in Analogie zum bestehenden Aktionsprogramm für Kinder und Jugendliche ein solches Aktionsprogramm für die psychosoziale Beratung der Studierenden aufsetzen; dafür werden zehn Millionen Euro in den kommenden vier Semester veranschlagt. Mit Blick auf ihre Kitas appellieren die Studierendenwerke an den Bund, das "Gute-Kita-Gesetz" qualitativ zu verbessern und eine Fachkräfteoffensive für Erzieher/-innen auf den Weg zu bringen.

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Die Corona-Pandemie hat die 2,9 Millionen Studierenden in Deutschland stark getroffen; finanziell, sozial und psychisch. Viele Nebenjobs – und damit oftmals eine zentrale Finanzierungsquelle – fielen weg, fast das gesamte Campus-Leben und damit der soziale Austausch mit anderen Studierenden kam zum Erliegen, mit drei Semestern fand ein halbes Bachelor-Studium digital statt. Die Studierenden haben sich gerade in der Pandemie mit der älteren Generation und weiteren vulnerablen Gruppen solidarisch gezeigt. Jetzt brauchen sie die Unterstützung der Regierungen in Bund und Ländern.

Das Nebeneinander von Präsenzlehre und digitaler Lehre an den Hochschulen stellt auch die Studenten- und Studierendenwerke vor enorme Herausforderungen. Mensen und Cafeterien sind geöffnet, aber noch weit von einer vollen Auslastung entfernt. Steigende Energiekosten und weiterhin notwendige Maßnahmen der Corona-Prävention führen zu erheblichem finanziellen Mehraufwand. Dieser darf aber nicht zulasten der Studierenden gehen; eine Anhebung der Studierendenbeiträge und Essenspreise oder Mieten ist zu vermeiden.

Die Pandemie hat gezeigt, wie wichtig eine hervorragende soziale Infrastruktur für unsere Gesellschaft ist – auch auf dem Campus. Studierende benötigen mehr als einen Platz im Hörsaal. Sie müssen sich ihr Studium leisten können, sie brauchen eine bezahlbare Wohnung, gute, preiswerte und nachhaltige Verpflegung in Mensen und Cafeterien sowie soziale und psychologische Beratung und integrative, kulturelle Angebote. Studierende mit Kind benötigen zudem einen Kinderbetreuungsangebote- in Campus-Nähe.

Der Ausbau und Modernisierung der sozialen Infrastruktur an den Hochschulen wurde über Jahre hinweg vernachlässigt. Stieg seit 2007 der Anteil der öffentlich geförderten Studienplätze um 52 Prozent, gab es bei den Wohnheimplätzen der Studenten- und Studierendenwerke nur ein Plus von 9 Prozent. Ebenso wenig hielten Mensen und Cafeterien mit einem Zuwachs von 16 Prozent bei den Tischkapazitäten mit der Entwicklung der Studierendenzahlen Schritt.

Hinzu kommt die durch die Pandemie stark verschärfte Herausforderung, die Infrastruktur der Zukunft noch stärker als bisher digital und nachhaltig zu gestalten. Die Studenten- und Studierendenwerke wollen weiterhin vorbildhaft ihren Teil zur Bewältigung von sozialen und ökologischen Probleme wie der Klimakrise leisten. Hier sind weitere Anstrengungen notwendig.

Gemeinsam haben deshalb das Deutsche Studentenwerk (DSW) und die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) im April 2021 vorgeschlagen, die Programmfinanzierung für das Studium durch den Bund und die Länder um eine Komponente für die soziale Infrastruktur um jährlich bis zu fünf Prozent zu ergänzen. Die 83. Mitgliederversammlung des DSW bekräftigt diesen Vorschlag. 

Der Bildungserfolg der jungen Generation darf nicht vom Kontostand ihrer Eltern oder ihrem Wohnort abhängen. Im Sinne gleichwertiger Lebensverhältnisse und gleicher Bildungschancen ist es deshalb eine gemeinsame Aufgabe von Bund und Ländern, für die soziale Infrastruktur an den Hochschulen eine nachhaltige Finanzierungsgrundlage zu schaffen. Dies betrifft insbesondere folgende Bereiche:

Studentisches Wohnen

Der Wohnungsmarkt in den Hochschulstädten ist extrem angespannt. Die Wartelisten bei den Studenten- und Studierendenwerken haben wieder das Niveau von vor der Corona-Pandemie erreicht. Die Wohnungsnot ist eine zentrale soziale Frage. Studierende sind auf bezahlbaren Wohnraum angewiesen. Die BAföG-Wohnpauschale von 325 Euro reicht in nahezu sämtlichen Städten nicht mehr aus, um die Miete auf dem freien Wohnungsmarkt zu bezahlen. Wir brauchen mehr preisgünstige, bedarfsgerechte Wohnheimplätze für Studierende, die zugleich den Ansprüchen an eine moderne digitale Ausstattung und den Klimaschutz gerecht werden. Es ist deshalb richtig, dass die Bundesregierung den öffentlichen finanzierten Wohnungsbau einschließlich des studentischen Wohnheimbaus ankurbeln will. 

Die Studierenden- und Studentenwerke tragen mit ihren rund 196.000 Wohnheimplätzen zu einer durchschnittlichen Warmmiete von 263 Euro im Monat wesentlich zur Entlastung der urbanen Wohnungsmärkte bei. Allerdings können nur knapp 10 Prozent aller Studierenden mit diesem Angebot versorgt werden.

Die Mitgliederversammlung des DSW begrüßt daher, dass die künftige Bundesregierung ein eigenes Bund-Länder-Programm auch zur Förderung des studentischen Wohnens auflegen will. Von Bund, Ländern und Kommunen fordern wir:

  • die dringend erforderliche Sanierung und Modernisierung des Wohnheimbestandes substantiell zu unterstützen, insbesondere bei der digitalen Ausstattung, der Umsetzung erhöhter baulicher Anforderungen durch steigende Hygienestandards sowie der bedarfsgerechten Barrierefreiheit
  • den Neubau von mindestens 25.000 Wohnheimplätzen zu fördern,
  • klimafreundliches Bauen und Sanieren durch ein ergänzendes Klimaschutz-Förderprogramm zu ermöglichen, damit die Umsetzung der Klimaschutzziele auch durch die Studenten- und Studierendenwerken auch mit sozialen Mietpreisen erfolgen kann sowie
  • die Länder, Kommunen und die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BiMA) auf, den Studierenden- und Studentenwerken wegen der vor allem in den Hochschulstädten extrem gestiegenen Bodenpreise kostenfreie Grundstücke für die Bebauung mit Wohnheimplätzen zur Verfügung zu stellen,
  • von Bund und Ländern bis zum Jahr 2027 Zuschüsse für Sanierung, Modernisierung und Neubau in Höhe von mindestens 2,6 Milliarden Euro.
  • die explizit vom Bund, die zur Verfügung gestellten Finanzmittel für die soziale Wohnraumförderung dauerhaft in Höhe von mindestens 2 Milliarden Euro pro Jahr zu gewähren sowie
  • explizit von den Ländern, die Bundesmittel für die soziale Wohnraumförderung additiv mit eigenen Förderprogrammen für den Neubau und die Sanierung von Wohnheimen der Studenten- und Studierendenwerke zu ergänzen. 

Hochschulgastronomie

Während der Lockdowns in der Corona-Pandemie hat das Präsenz-Angebot der 958 Mensen, Cafeterien und Bistros an den Hochschulen den Studierenden gefehlt. Dabei geht es um eine kostengünstige und gesunde Verpflegung durch qualitativ hochwertiges Essen, aber auch um eine nachhaltige Gastronomie, damit die Klimaschutzziele erreicht werden können. Die Mensen, Cafeterien und Bistros sind zudem soziale Begegnungsräume, in denen die Studierenden Zeit zum zwanglosen Austausch ohne Verzehrpflicht, aber auch zum gemeinsamen Lernen haben. Diese Entwicklungen erfordern nicht nur Investitionen in die Substanz, in die klimafreundliche Sanierung und den Umbau der Verpflegungseinrichtungen.

Vor allem in der Hochschulgastronomie drohen gravierende finanzielle Belastungen. Zwar können Mensen und Cafeterien wieder geöffnet werden und die Nutzerzahlen steigen, doch von der Vollauslastung ist man vielerorts noch weit entfernt. Die Kostenkalkulationen der Essen, die ursprünglich deutlich höhere Gästezahlen zur Grundlage hatten, können insbesondere wegen des Anteils fixer Personalkosten wirtschaftlich so nicht aufrechterhalten werden.

Deshalb fordert die Mitgliederversammlung des DSW von Bund und Ländern:

  • in den Jahren von 2021 bis 2026 insgesamt Zuschüsse in Höhe von 1,6 Milliarden Euro für den Um- und Ausbau sowie die Sanierung der Mensen zu investieren; davon entfallen 1,5 Milliarden Euro auf die Mensen und 100 Millionen Euro auf die Cafeterien sowie
  • die Zuschüsse zum laufenden Betrieb zu erhöhen, damit die Studenten- und Studierendenwerke weiterhin in der Lage sind, ihre gesetzlichen Aufgaben zu erfüllen und die Grundversorgung der Studierenden mit preisgünstigen Mahlzeiten sicherzustellen.

Psychologische und soziale Beratung

Die Nachfrage nach psychologischer und sozialer Beratung, die schon vor der Pandemie kontinuierlich angestiegen war, hat sich im Zuge der Corona-Krise deutlich verstärkt und wird längerfristig andauern. Viele Studierenden haben nach drei Online-Semestern mit depressiven Verstimmungen zu kämpfen, mit Einsamkeit in der digitalen Isolation, mit Fragen nach der Sinnhaftigkeit ihres Studiums und mit Ängsten vor Verschuldung. 

Es mangelt an Ressourcen in der psychologischen und sozialen Beratung für alle Studierenden, die Wartezeitenhaben sich an manchen Standorten vervielfacht. 

Deshalb fordert die Mitgliederversammlung des DSW von Bund und Ländern:

  • ein Programm „Unterstützung nach Corona für Studierende“ aufzulegen und so für die kommenden vier Semester bis zu 10 Millionen Euro in die Beratungskapazitäten zu investieren sowie
  • den Ausbau der Beratungs- und Serviceangebote besonders für internationale Studierende (mehrsprachig, niedrigschwellig und proaktiv) 

Familienfreundliches Studium

Die Pandemie hat auch die mehr als 200 Kindertagesstätten der Studenten- und Studierendenwerke vor enorme Herausforderungen gestellt, durch die flächendeckende Schließung aller Kinderbetreuungseinrichtungen mit Notbetrieb bzw. eingeschränktem Regelbetrieb über Wochen hinweg. Studierende mit Kind sahen sich im Dilemma zwischen digitaler Lehre und geschlossenen Kitas bzw. Schulen. Zudem musste der Kontakt zwischen Kita und Eltern auf neue digitale Formate umgestellt werden. Die Pandemie zeigte die Systemrelevanz von Kitas, aber auch die Schwachstellen der frühkindlichen Bildung auf. Die Personalschlüssel sind zu knapp bemessen, es mangelt an Fachkräften.  

Deshalb fordert die Mitgliederversammlung des DSW von Bund und Ländern:

  • mehr in die Qualität der frühkindlichen Bildung, Betreuung und Erziehung zu investieren. Deshalb soll das so genannte „Gute-Kita-Gesetz“ mit Blick auf die Qualität (Fachkraft-Kind-Schlüssel, mittelbare pädagogische Arbeit, Ressourcen für Leitungen) verbessert werden sowie
  • eine gemeinsame Fachkräfteoffensive für Erzieher/innen auf den Weg zu bringen, um das Arbeitsfeld und insbesondere die Ausbildung zu diesem Beruf attraktiver zu gestalten und dem Fachkräftemangel wirksam zu begegnen.