07.12.2016

Das BAföG der Lebenswirklichkeit anpassen

Die 77. ordentliche Mitgliederversammlung des Deutschen Studentenwerks (DSW) erneuert ihren Beschluss von 2015, fordert den Bund auf, das BAföG endlich der Lebenswirklichkeit anzupassen und dazu

/fileadmin

 

  1. insbesondere die BAföG-Freibeträge und Bedarfssätze regelmäßig so an die Einkommens- und Preisentwicklung anzupassen, wie sie die Bundesregierung in ihren BAföG-Berichten (§ 35 BAföG) in zweijähriger Taktung feststellt.
  2. einen neuen § 1 Abs. 2 BAföG als Generalklausel einzufügen, damit alle hochschulrechtlich zulässigen studienorganisatorischen Formen nach dem BAföG gefördert werden können.

BEGRÜNDUNG:

 

Seit dem 1.1.2015 hat der Bund die alleinige Regelungskompetenz und Verantwortung für das BAföG und für die BAföG-Verordnungen.

Die DSW-Mitgliederversammlung bekräftigt weiterhin ihre Forderungen zur Studienfinanzierung anlässlich der DSW-Mitgliederversammlung 2015.

Zu 1.

Laut § 35 BAföG hat die Bundesregierung alle zwei Jahre die BAföG-Bedarfssätze und -Freibeträge sowie die Sozialpauschalen zu überprüfen und gegebenenfalls neu festzusetzen. Sie hat darüber dem Deutschen Bundestag und dem Bundesrat einen Bericht vorzulegen. Dabei ist der Einkommensentwicklung und der Vermögensbildung, der Entwicklung der Lebenshaltungskosten sowie der finanzwirtschaftlichen Entwicklung Rechnung zu tragen. Die Bundesregierung hat in ihren BAföG-Berichten selbst eingeräumt, dass „die Bedarfssätze und Freibeträge in der Vergangenheit insgesamt nicht regelmäßig in einem den Anstieg der Lebenshaltungskosten ausgleichenden Umfang angehoben“ wurden. Die dauerhaften zu niedrigen oder gar fehlenden Anhebungen der BAföG-Parameter (Nullrunden von 2001 bis 2008 und 2010 bis 2016), jeweils aus Gründen der Haushaltskonsolidierung, müssen aufhören. Da die finanzwirtschaftliche Entwicklung als Begründung regelmäßig – und nicht nur im Ausnahmefall – für eine niedrigere Anpassung oder eine Nullrunde genutzt wird, ist eine Abkehr von diesem Mechanismus geboten.

Nach § 35 BAföG ist ein Bericht über den Anpassungsbedarf aufgrund der Einkommens- und Preisentwicklung gefordert, hingegen kein bloßer (Erfolgs-)Bericht über die Entwicklung der BAföG-Daten aufgrund einer Novelle.

Da die BAföG-Förderung in der Regel elternabhängig gewährt wird, d.h. sich abhängig vom Einkommen der Eltern bemisst, führt eine Entwicklung von Tarifsteigerungen und Preisen dazu, dass Teilgeförderte aus dem BAföG herausfallen.

Gleiches gilt für die Anpassung der BAföG-Bedarfssätze an die Preisentwicklung, denn wenn die Kaufkraft sinkt, muss das Niveau der ursprünglichen Kaufkraft mindestens erhalten bleiben. Derzeit steigt das Preisniveau insgesamt nicht so stark, aber partiell in einigen Bereichen, wie z.B. bei der Miete. Daraus zu schlussfolgern, der BAföG-Wohnbedarf müsse angehoben werden, ist aber nicht folgerichtig. BAföG-Wohnbedarfsanhebungen werden von Vermietern dazu genutzt, eine entsprechende Mietanhebung zu rechtfertigen. Dieses führt lediglich dazu, dass sich die Mietpreisspirale nach oben bewegt. Da preiswerter studentischer Wohnraum immer knapper und zudem teurer wird, wird dieser Teufelskreis nur dann durchbrochen, wenn der Staat mit der indirekten Förderung von preiswertem studentischen Wohnraum durch die Förderung des Baus von Studentenwohnheimen (nur dort Durchschnittsbruttomiete knapp unter 250 Euro/mtl.) regulierend in den Markt eingreift. Dieses ist zwar prioritär Länderaufgabe, aber wenn der Bund bei den Hochschulpakten die Länder finanziell unterstützt, die Studienplätze für eine gestiegene Zahl der Studierenden zu fördern, dann muss entsprechend gleiches für den Ausbau des studentischen Wohnraums als Grundbedürfnis von Studierenden gelten.

Erst ab Mitte 2017 kann das Statistische Bundesamt die BAföG-Daten 2016 veröffentlichen. Dabei kann allenfalls über erste Auswirkungen der BAföG-Anpassung zum Herbst 2016 (faktisch die letzten drei Monate) berichtet werden. Unabdingbare Voraussetzung des 21. BAföG-Berichts ist jedoch, dass er an den 20. Bericht (bis Herbst 2014) zeitlich unmittelbar anschließt und über die Einkommens- und Preisentwicklung von Herbst 2014 bis perspektivisch Herbst 2017 berichtet.

Rein technisch ist eine automatische Anpassung der BAföG-Freibeträge und Bedarfssätze an die Einkommens- und Preisentwicklung möglich. Die technische Umsetzbarkeit kann analog den Erhöhungen z.B. beim Arbeitslosengeld, bei der Rente oder vergleichbar der Erhöhung der Abgeordnetendiäten zu Anfang einer Legislaturperiode per einmaligem Parlamentsbeschluss erfolgen. Gleiches ließe sich beim BAföG umsetzen – und ist aufgrund der ständigen Heranziehung des BAföG zur Haushaltskonsolidierung dringend geboten.

Zu 2:

Die Lebenswirklichkeit der hochschulrechtlich zulässigen Studienmöglichkeiten verändert sich in einer Vielfalt und so rasch, dass das abstrakt-generelle Gesetz „BAföG“ – als staatliches Unterstützungssystem für das Studium – nicht mehr folgen kann.

Ohne Festschreibung des Grundsatzes, dass das BAföG als Annexrecht dem Hochschulrecht folgt, d.h. hochschulrechtlich zulässige Studienformen förderungsrechtlich nachvollzogen werden müssen, werden Studierende, die legale Studienmöglichkeiten nutzen, oftmals vom staatlichen Studienfinanzierungssystem ausgeschlossen.

Die Lösung liegt in der Einfügung einer Generalklausel, die genau diesen Grundsatz – auch systematisch durch eine hervorgehobene Stellung gleich zu Beginn des BAföG – zur Maxime erhebt.

Beispiele sind:

  • Probestudium, Orientierungs- oder Kompassstudien
  • Zahl der Leistungspunkte je Semester, Übertragung von Leistungspunkten von Bachelor- in Masterstudiengänge
  • Individualisierung, Flexibilisierung, „Studium in unterschiedlichen Geschwindigkeiten“ (Beschluss der Hochschulrektorenkonferenz und der Kultusministerkonferenz vom 15.7.2016)
  • Formale Teilzeitstudiengänge
  • Anrechnung vorangegangener Studienzeiten bzw. Fachrichtungswechsel bei Flüchtlingen an deutschen Hochschulen, anlässlich von bei der Flucht verlorenen Hochschuldokumenten

Der Anwendungsbereich der Generalklausel bezieht sich damit insbesondere auf die §§ 7 (Ausbildungsstruktur), 15, 15a und b (Förderungsdauer) und 48 (Leistungsnachweis) BAföG.

Dieses ist zwingend, damit Studierende bei hochschulrechtlich zulässigen studienorganisatorischen Formen auch an der BAföG-Förderung partizipieren können.