02.12.2008

Bessere Rahmenbedingungen für die Vereinbarkeit von Studium und Familie schaffen

Initiativen zur familiengerechten Hochschulen müssen konsequent umgesetzt werden, um Familie und Studium vereinbar zu machen.

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Die 69. ordentliche Mitgliederversammlung des Deutschen Studentenwerks (DSW)
 

  • begrüßt die politische Zielsetzung, nicht nur die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, sondern auch die von Studium und Familie zu fördern und unterstützt in diesem Kontext die Initiativen zur familiengerechten Gestaltung der Hochschulen;
     
  • stellt jedoch fest, dass es nach wie vor eine erhebliche Diskrepanz gibt zwischen den postulierten Zielsetzungen und der tatsächlichen Studien- und Lebenssituation Studierender mit Kind;
     
  • fordert daher Bund, Länder, Kommunen und Hochschulen auf, gemeinsam mit den Studentenwerken in einer konzertierten Aktion darauf hinzuwirken, dass die Rahmenbedingungen für ein Studium mit Kind verbessert und die Hochschulen insgesamt familiengerechter gestaltet werden;
     
  • fordert Initiativen insbesondere in den folgenden Aktionsfeldern: 
  • Ausbau und Qualitätssicherung der Kinderbetreuung im Hochschulbereich (sowohl der Regelbetreuung als auch der flexiblen Betreuung) unter besonderer Berücksichtigung der spezifischen Bedürfnisse studierender Eltern; 
  • hier gilt es, im Zusammenwirken von Studentenwerken, Hochschulen und Kommunen u.a. zu prüfen, inwieweit die neu aufgelegten Programme zum Ausbau der Kinderbetreuungsangebote für die Schaffung neuer Angebote auch im Hochschulbereich genutzt werden können;
  • Ausbau und Qualitätssicherung der Beratungsangebote für Studierende mit Kind;
  • Sicherstellung der Studienfinanzierung durch den Ausbau entsprechender Unterstützungsleistungen;
  • Flexiblere Gestaltung der Studienorganisation.

 

Begründung:

Die künftigen Herausforderungen des demografischen Wandels erfordern eine noch stärkere Realisierung des Verfassungspostulats, die Vereinbarkeit von  Beruf und Familie zu sichern. Dies gilt gleichermaßen auch für die Förderung der Vereinbarkeit von Ausbildung bzw. Studium und Familie. Es stellt sich die Aufgabe, bessere Rahmenbedingungen für die Vereinbarkeit von Studium und Kind (bzw. von Studium und Pflege von Angehörigen) zu schaffen.

 

Im Jahr 2006 waren etwa 123.000 Studierende mit Kind an den  deutschen  Hochschulen immatrikuliert. Das entspricht 7 Prozent aller Studierenden.

 

Nur 60 Prozent der Studierenden mit Kind, die sich im Erststudium befinden, sehen Studium und Kind als prinzipiell vereinbar an; sie würden – wenn sie die Entscheidung noch einmal treffen könnten – wieder mit Kind studieren. Jeder Zweite stimmt dem zu (54 %), einige (6 %) schränken die Zustimmung ein und würden erst studieren, wenn das Kind schon selbstständiger ist. Ein Viertel jedoch würde diese Entscheidung das nächste Mal anders treffen und Studium und Kind zeitlich voneinander trennen bzw. auf eines von beiden verzichten.

 

Die Ergebnisse der Sonderauswertung der 18. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks zum Thema „Studieren mit Kind“ (2008) dokumentieren die spezifische Lebens- und Studiensituation Studierender mit Kind. Insbesondere die Zeitkonflikte zwischen Studium, Kinderbetreuung und Erwerbstätigkeit sowie oftmals schwierige finanzielle Verhältnisse führen zu kritischen − geschlechtsspezifischen − Lebenslagen.

 

So gestaltet sich der Studienverlauf für Studierende mit Kind häufig weniger „gradlinig“ und reibungslos als für Studierende ohne Kind. Unter den Studierenden mit Kind im Erststudium gibt es nahezu viermal so viele Studienunterbrecher/innen wie unter Studierenden ohne Kind. Fast jeder zweite Studierende mit Kind hat sein Studium schon einmal unterbrochen (45 % vs. 11 % der Studierenden ohne Kind). Studentinnen deutlich häufiger als Studenten (52 % vs. 36 %). Ebenfalls deutlich häufiger als ihre kinderlosen Kommiliton/innen wechseln Studierende mit Kind den Studiengang (28 % vs. 20 %) und/oder die Hochschule (20 % vs. 14 %).

 

Studierende mit Kind unterbrechen ihr Studium durchschnittlich fünf Semester. Das sind Zeiträume, die – in der Maßeinheit für die Studienzeit nach der Studienstrukturreform – das Studium fast um die Dauer eines ganzen Bachelor-Studiums verlängern. Häufigste Gründe für die Studienunterbrechung sind Schwangerschaft/Kindererziehung (78 %) und Erwerbstätigkeit (23 %). Der zeitliche Konflikt zwischen Studium, Kindererziehung und Erwerbstätigkeit führt dazu, dass sich die Studienzeiten der Studierenden mit Kind verlängern und sie in der Gruppe der so genannten Langzeitstudierenden deutlich überrepräsentiert sind. Nach der 18. Sozialerhebung sind ca. 17 % der Studierenden  mit  Kind  im  Erststudium  in einem höheren als dem 14. Semester. Nicht selten beenden Studierende mit Kind ihr Studium ohne Abschluss. Von den  Studienabbrecher/innen  des  Jahres  2000/2001,  die  (mindestens) ein Kind hatten, gab jede/r zweite an, dass die Unvereinbarkeit von Studium und Kind der hauptsächliche Grund für den Studienabbruch war.

 

Derzeit gibt es also noch eine große Diskrepanz zwischen der postulierten Zielsetzung der Vereinbarkeit von Studium und Familie und der tatsächlichen Studien- und Lebenssituation Studierender mit Kind. Laufende Maßnahmen, wie z.B. im Rahmen der Zertifizierung von Hochschulen als familiengerechte Hochschulen, sollten daher zeitnah umgesetzt werden, neue Maßnahmen zügig und verbindlich vereinbart werden.

 

Die Ergebnisse des Sonderberichts der 18. Sozialerhebung zum Thema „Studieren mit Kind“ verweisen auf vier vorrangige Handlungsfelder:

 

  • Ausbau   und   Qualitätssicherung   der   Kinderbetreuung   im   Hochschulbereich,   unter besonderer Berücksichtigung der spezifischen Bedürfnisse studierender Eltern:

Fast die Hälfte aller Kinder von Studierenden im Erststudium ist bis zu drei Jahre alt; ein Viertel ist höchstens ein Jahr alt. Mehr als jedes fünfte Kind ist zwischen vier und sechs Jahre alt, mehr als ein Viertel ist im schulpflichtigen Alter.

Studierende mit Kind haben aufgrund der spezifischen zeitlichen  Anforderungen  eines Studiums  einen  hohen  Bedarf  an  einer  zeitlich  flexiblen,  campusnahen  Kinderbetreuung.

 

Dieser Bedarf kann von den regulären Angeboten kommunaler und freier Träger nicht ausreichend abgedeckt werden. In den meisten Kommunen – vor allem in den alten Bundesländern – ist der Umfang des Betreuungsangebots nicht ausreichend, insbesondere für Kinder unter drei Jahren. Auch fehlen – aufgrund der Studienorganisation erforderliche – zeitlich flexible Angebote außerhalb der  gewöhnlichen  Öffnungszeiten.  Hier  gibt  es dringenden Handlungsbedarf. Die neu zu schaffenden Betreuungsangebote sollten grundsätzlich auch für die Kinder von Mitarbeiter/innen der Hochschulen und Studentenwerke zur Verfügung stehen.

 

Um die Kinderbetreuungsangebote im Hochschulbereich auszubauen, stellen sich neue Anforderungen  an  das  Zusammenwirken  von  Hochschulen,  Studentenwerken  und Kommunen. Gemeinsam sollte darüber beraten werden,  welche  Handlungsmöglichkeiten  es gibt, um (neue) Modelle der Finanzierung und Kooperation zwischen Studentenwerken und Hochschulstädten zu entwickeln und inwieweit die von Bund und Ländern (neu) aufgelegten (Investitions-)Programme zum Ausbau und zur Qualitätssicherung der Kinderbetreuung auch für diese Aufgabe genutzt werden können.

 

  • Ausbau und Qualitätssicherung der Beratungsangebote für Studierende mit Kind

Studierende mit Kind fragen aufgrund ihrer besonderen Situation Beratungs- und Informationsangebote überdurchschnittlich häufig nach: Fast drei Viertel von ihnen hatte im Jahr 2006 Bedarf an Informationen  bzw.  Beratung.  Dabei  liegt  der Anteil  der  Studentinnen mit Kind, die Beratung und Information suchten, höher als der von Studenten mit Kind (76 % vs. 67 %). Der größte Beratungsbedarf betrifft den Bereich Vereinbarkeit von Studium und Kind, fast jeder zweite Studierende benötigte dazu Informationen bzw. Beratung (49 %), Frauen deutlich häufiger als Männer. Der zweitwichtigste Bereich betrifft Probleme der Studienfinanzierung, fast ein Drittel (29 %) der Studierenden suchte hier nach Unterstützung. Auch die Nachfrage der Studierenden mit Kind nach Information und Beratung zu studien(leistungs)bezogenen Problemen (wie z.B. bei Zweifeln, das  Studium  fortzuführen oder bei Fragen der Arbeitsorganisation) und psychosozialen Problemen (wie Partnerschaftsprobleme, depressive Verstimmungen) ist groß und weist darauf hin, dass ein in Umfang und Qualität ausreichendes Angebot im Hochschulbereich erforderlich ist.

 

  • Sicherstellung der Studienfinanzierung

Die individuellen Lebensumstände der Studierenden mit Kind sind sehr heterogen, auch hinsichtlich ihrer finanziellen Situation. Im Gegensatz zu den Studierenden ohne Kind spielt bei den Studierenden mit Kind Geld von den Eltern eine untergeordnete Rolle zu Gunsten eines deutlich größeren Selbstfinanzierungsanteils aus Erwerbstätigkeit. Studierende mit Kind bewerten – noch seltener als ihre Kommiliton/innen ohne Kind – die Finanzierung ihres Lebensunterhalts während des Studiums als sichergestellt (44 % vs. 61 %).

 

Die finanzielle Förderung über BAföG hat im Erststudium für Studierende mit Kind die gleiche Bedeutung wie für solche ohne Kind, jeweils ein Viertel beider Gruppen erhält eine Förderung nach dem BAföG. Insbesondere für BAföG-Empfänger/innen mit  Kind  ist  diese  Förderung eine  überdurchschnittlich  wichtige  Voraussetzung,  um  überhaupt  studieren  zu  können.  (87

% bejahen die Aussage: Ohne BAföG-Förderung könnte ich nicht studieren). Nur 3 % der Studierenden mit Kind erhalten ein Stipendium. Die Gruppe der Studierenden mit Kind insgesamt hat durch den Wegfall des Erziehungsgeldes bzw. mit der Einführung  des Elterngeldes für Kinder, die  ab dem 1. Januar 2007 geboren wurden, eine erhebliche Schlechterstellung erfahren. Während die Studierenden mit Kindern, die vor dem Januar 2007 geboren wurden, zwei Jahre langmonatlich 300 Euro Erziehungsgeld  erhielten,  erhalten  sie nach der Reform ein Jahr lang in aller Regel monatlich 300 Euro Elterngeld. Um die Studienfinanzierung stärker zu sichern, sind ein leistungsstarkes BAföG und mehr Stipendien auch für die Gruppe der Studierenden mit Kind erforderlich.

 

  • Flexiblere Gestaltung der Studienorganisation

Aufgrund ihrer Mehrfachbelastung durch Studium, Kinderbetreuung und Erwerbstätigkeit realisieren weniger als zwei Drittel (63 %) der Studierenden mit Kind im Erststudium ein Vollzeitstudium. Mehr als die Hälfte von ihnen ist nebenher erwerbstätig (58 %). In postgradualen Studiengängen entspricht der Studienaufwand noch seltener dem eines Vollzeitstudiums (57  %)  und  bedeutend  mehr  Studierende  jobben  neben  dem  Studium  (72

%).   Dieses   faktische   Teilzeitstudium   in   den   Strukturen   eines   Vollzeitstudiums   führt   zu

 

spezifischen Problemen. Da die im Vergleich zu den „alten“ Studiengängen stärker organisatorisch reglementierten Bachelor- und  Masterstudiengänge  noch  weniger  Freiräume für individuelle Strategien der Studienorganisation bieten, verschärfen sich die zeitlichen Konfliktlagen der Studierenden mit Kind noch weiter. Um die zeitlichen Konfliktlagen zu entzerren, sind die Einführung von regulären Teilzeitstudiengängen und die Verankerung von Nachteilsausgleichen für Studierende in besonderen Lebenssituationen erforderlich.

 

 

69. ordentliche Mitgliederversammlung 

des Deutschen Studentenwerks (DSW)

am 2./3.12.2008